“Friedensabkommen”?

Europäisches Tagebuch, 15.9.2020: Israels Premier Netanjahu und der Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate Sheikh Abdullah bin Zayed Al Nahyan sowie der Außenminister von Bahrain Dr. Abdullatif bin Rashid Al-Zayan unterzeichneten heute Nachmittag in Washington im Beisein von Donald Trump einen sogenannten „Friedensvertrag“. Mund-Nasen-Schutz wird dabei nicht getragen, mit solchen Dingen möchte man sich im Weißen Haus nach wie vor nicht abgeben.

Der Unterzeichnung vorausgegangen sind noch bis in die letzten Stunden Kabbalen zwischen den israelischen Regierungsparteien um die Frage, wer den Vertrag überhaupt unterzeichnen darf. Der unter Anklage stehende Premier Netanjahu benötigte dazu eine Erlaubnis des Außenministers der rivalisierenden Partei Kahol Lavan

Der Wortlaut des „Friedensabkommens“ – zwischen drei Staaten, die sich gar nicht im Krieg miteinander befinden – bleibt weiterhin ein Rätsel, denn bislang werden nur Gerüchte über dessen Inhalt verbreitet. Klar ist jedenfalls, dass der Vertrag offenbar den Weg frei macht für eine Reihe von größeren Waffendeals, darunter die Lieferung von amerikanischen F-35 Kampfjets an die VAE, die deren strategische Rolle am Golf deutlich aufwerten. Angeblich würde der Vertrag auch den Weg zu einer „Zwei-Staatenlösung“ offenhalten. Was die Trump-Administration allerdings unter einer solchen „Zwei-Staatenlösung“ versteht, haben Israelis und Palästinenser, wie auch die erstaunte Weltöffentlichkeit, letztes Jahr schon erfahren: ein Flickenteppich von Bantustans unter israelischer Kontrolle. Also ein erster Klasse Begräbnis. Dass die arabischen Monarchen am Golf sich in Wahrheit nicht einmal mehr rhetorisch um irgendwelche „Friedenslösungen“ oder die Interessen der Palästinenser scheren, ist im Grunde keine neue Erkenntnis. 
Die Annexion großer Teile des besetzten Westjordanlands, vor allem entlang des Jordans, und damit die endgültig-endgültige Absage an irgendeinen „Palästinenserstaat“ wurde freilich nicht nur für die bessere Optik einstweilen verschoben. Diese Verschiebung entspricht durchaus den gegenwärtigen israelischen Interessen daran, den sogenannten „Status-Quo“ nicht allzu rasch in die Richtung einer gewaltsamen „Einstaaten-Lösung“ – ohne Ausgleich mit der arabischen Bevölkerung und ohne deren Gleichberechtigung – zu verschieben. Denn auf diesem Weg lauern bekanntlich jede Menge Probleme. Auch wenn Netanjahu diesen Schritt seinen rechtsradikalen Partnern immer wieder versprechen muss, um sich deren wahlentscheidende Unterstützung zu versichern. 

Hinter dem neuen Pakt stehen nicht zuletzt gemeinsame Sicherheits-Interessen, worunter nicht zuletzt der Machterhalt der absolutistischen Herrschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain zu verstehen ist. Hinter den Kulissen ist diese Zusammenarbeit zwischen Israelis, Amerikanern, manchen Golfstaaten und auch einigen Palästinensern wie dem ehemaligen „Sicherheitschef“ der Fatah Mohammed Dahlan schon seit Jahren im Gange, und längst auch kein Geheimnis mehr.
Benjamin Netanjahu hingegen sieht in der absoluten Monarchie der Emirate eine „fortschrittliche Demokratie“. Welche Rückschlüsse das auf sein eigenes Verständnis von Israel als Demokratie zulässt ist ebenfalls kein Geheimnis mehr. 
Zu den wenigen wirklichen Überraschungen gehört da eher, wie sehr sich manche von diesem Coup blenden lassen, mit dem sowohl Netanjahu wie Trump von den katastrophalen Folgen ihrer Politik für die eigene Bevölkerung ablenken wollen. Israel ist nun ab Freitag wieder im Lockdown. Aus dem Musterknaben der Pandemiebekämpfung ist der Krisenprimus geworden. Die USA sollte auch längst wieder im Lockdown sein, täglich sterben immer noch bis zu 1000 Menschen im reichsten, „größten“ Land der Welt.
Aber europäische Zeitungen wie die NZZ feiern das Abkommen zwischen Israel und den VAE unverdrossen als historischen Schritt zum „Frieden“. Immerhin, der israelische Fußballclub Beitar, traditionell mit den rechtspopulistischen Parteien verbunden und stolz darauf als einziger israelischer Profi-Club noch nie einen arabischen Spieler aufgestellt zu haben, verhandelt nun mit neuen Investoren: einer Gruppe von Scheichs aus den Arabischen Emiraten. Auch jüdische Rechtsradikale wissen: „denn nur der Scheich ist wirklich reich“.   

Die Waffen nieder!

Ausstellungsinstallation Die Waffen nieder! Foto: Dietmar Walser

Seit 1901 wird der Friedensnobelpreis an diejenigen vergeben, die „am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt“ und damit „im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht“ haben. 1911 wurde der Preis an zwei Männer vergeben, die beide aus jüdischen Familien stammten: an den holländischen Juristen Tobias Asser (1838–1913) für die Einrichtung des ständigen Schiedshofes in Den Haag und an den österreichischen Buchhändler und Publizisten Alfred Hermann Fried (1864–1921), der – gemeinsam mit Bertha von Suttner – die Zeitschrift „Die Waffen nieder! Monatsschrift zur Förderung der Friedensbewegung“ ins Leben gerufen hatte. Der glühende Pazifist Fried glaubte an die Möglichkeit der Überwindung des Krieges. Er sah in Krieg ein strukturelles „Symptom zwischenstaatlicher Anarchie“, dem mit „zwischenstaatlicher Organisation“, das hieß mit der Einrichtung des Völkerbundes, zu begegnen sei. Dieser sollte in Konfliktfällen den Frieden sichern.

^ Alfred Hermann Fried, o. J., © ÖNB-Bildarchiv

< Diplom über die Verleihung des Friedensnobelpreises an Alfred Hermann Fried, Stockholm 1911, © ÖNB

> Granatwerfer, 120 mm, Hirtenberger Defence Systems, Eurosatory (Land and Airland Defence & Security Exhibition), Paris 2018, © armyrecognition.com

Nach zwei Weltkriegen erfuhr die pazifistische Bewegung einen deutlichen Aufschwung. Immer wieder kam es zu Appellen für eine vollständige Abrüstung. Doch die Rüstungsindustrie ist überall auf der Welt ein wichtiger Wirtschaftszweig. In Österreich gehörte neben den Steyr-Werken die Hirtenberger Munitionsfabrik zu den bekanntesten Rüstungsbetrieben. Lange Zeit wurde Hirtenberger von Fritz Mandl (1900–1977) geleitet. Schon früh fand er über die Schweiz Wege, auch unerlaubt Waffen auszuführen. Ideologisch stand er faschistischen Systemen der Zeit nahe. 1933 versuchte er, von seiner Firma modernisierte Beutewaffen aus dem Ersten Weltkrieg nach Italien, Ungarn und an die Heimwehr zu liefern, was einen internationalen Skandal auslöste. Seine Freundschaft mit Nazis schützte ihn nach dem Anschluss allerdings nicht davor, nach den Nürnberger Gesetzen als Jude definiert zu werden; er emigrierte nach Argentinien und beriet Diktator Perón. Nach seiner Rückkehr 1955 sicherte Mandl seinem restituierten Unternehmen Großaufträge des Bundesheers. 1999 startete Hirtenberger Defense Systems sein Granatwerfer-Programm. Waffenexport in kriegführende Staaten und solche, in denen Waffen menschenrechtswidrig eingesetzt werden, ist gesetzlich verboten. Doch taucht immer wieder österreichisches Kriegsmaterial, auch solches von Hirtenberger, in kriegführenden Ländern wie beispielsweise Afghanistan auf.

Michael Miller (Wien) über den Pazifismus der Paneuropa-Union: