„Die Förderung der Menschenrechte ist der Europäischen Union ein stetes Anliegen“

Ausstellungsinstallation Menschenrechte. Foto: Dietmar Walser

Die 1950 formulierte Europäische Menschenrechtskonvention soll individuelle Menschenrechte vor staatlicher Willkür schützen. Über ihre Umsetzung wacht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Eine der Schlüsselfiguren bei der Einrichtung des Gerichtshofes war Hersch Zwi Lauterpacht (1897–1960) aus dem galizischen Żółkiew. Nach seinem Studium bei Hans Kelsen, dem Staatsrechtler, Rechtsphilosophen und Mitgestalter der österreichischen Bundesverfassung von 1920, übersiedelte Lauterpacht nach London. Dort entwickelte er sein Konzept der Menschenrechte. 

Lauterpacht hatte fast seine ganze Familie in der Schoa verloren. Er definierte die „Aufgabe humanen Regierens“ als Gewährleistung der „natürlichen und unveräußerlichen Menschenrechte“. Als Berater der britischen Ankläger im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945–46 entwickelte Lauterpacht den Rechtsbegriff des „Verbrechens gegen die Menschheit“ als Verletzung des Völkerrechts. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN hingegen war vor allem das Werk des französisch-jüdischen Juristen René Cassin (1887-1976), des späteren Präsidenten des Europäischen Menschengerichtshofes. Für sein Engagement erhielt er 1968 den Nobelpreis.

^ Hersch Lauterpacht, Trinity College, Cambridge, UK, 1958, © The Lauterpacht Centre for International Law, Cambridge, UK

< Straßenbahn-Station „Droits de l’Homme“ vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, Straßburg 2016, © Rainer Unkel/picturedesk.com

> Griechische Polizei bewacht die türkisch-griechische Grenze, 29. Februar 2020, © Emrah Gurel/APA/picturedesk.com

2012 stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einer Grundsatzentscheidung fest, dass im Falle von Abschiebungen/Rückführungen von Flüchtenden 

  • „gemäß Art. 3 der europäischen Menschenrechtskonvention der rückführende Staat eine Misshandlung im Zielland verhindern muss 
  • die Inkaufnahme einer Weiterschiebung in das folternde Herkunftsland gegen Art. 3 der europäischen Menschenrechtskonvention verstößt 
  • Kollektivausweisungen auch auf hoher See und von Bootsflüchtlingen gegen Art. 4 des Protokolls 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen 
  • Bootsflüchtlingen gegen ihre Rückschiebung Rechtsmittel gemäß Art. 13 der europäischen Menschenrechtskonvention zustehen“.

Die Verwirklichung der 2007 im Vertrag von Lissabon formulierten Verpflichtung der Europäischen Union, selbst der Europäischen Menschenrechtskonvention beizutreten, wird – trotz wiederholter Bekenntnisse dazu – bis heute blockiert. Liegt dies daran, dass dann auch ein unabhängiges Kontrollorgan das Handeln und die Glaubwürdigkeit der Mitgliedstaaten hinterfragen müsste?

Gerald Knaus (Berlin) über die Flüchtlingspolitik Europäischer Staaten: