Verstehen wir uns?

Ausstellungsinstallation Verstehen wir uns? Foto: Dietmar Walser

Aufgewachsen im heute polnischen Białystok, einer einstmals multiethnischen, multireligiösen und vielsprachigen Stadt im Russischen Reich, dachte Ludwik Zamenhof (1859–1917) bereits früh über eine neue, universell verständliche Sprache nach. Wie manch anderer seiner Zeitgenossen hoffte er, mit der Entwicklung einer rational leicht erfassbaren Weltsprache die internationalen und ethnischen Beziehungen zu verbessern. „Die Zerrissenheit und der Hass zwischen den Nationen werden nur dann vollständig verschwinden,“ – so war er überzeugt – „wenn die ganze Menschheit eine Sprache und eine Religion hat.“ 1887 publizierte der Sohn einer jiddisch sprechenden Mutter und eines sich meist des Russischen bedienenden Vaters seine „Plansprache“ unter dem Pseudonym Doktor Esperanto (der Hoffende). Daraus wurde bald der Name der von ihm erdachten Sprache. Deren logische Struktur, möglicherweise aber auch Zamenhofs Übersetzung der hebräischen Bibel ins Esperanto, trug zur schnellen Verbreitung der Sprache bei – und zur Bildung einer internationalen Bewegung, die sie propagierte. Schon 1905 fand der erste Esperanto-Weltkongress in Boulogne-sur-Mer statt, dem jährliche Weltkongresse folgten. 

Ludwik Lejzer Zamenhof, um 1900, ©: Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

< Plakat für den Esperanto-Weltkongress in Warschau 1937, © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

< Zitate zur Ablehnung des Zamenhof-Jahres durch den Stadtrat von Białystok, Dezember 2016 (Quelle: www.esperanto.de)

Esperanto hätte eine gemeinsame Sprache in einem vereinten Europa werden können. Doch wenn es in der Politik um Sprache geht, geht es immer auch um Macht. So haben sich mehrere Nationalsprachen für den Gebrauch in den EU-Gremien durchgesetzt und eben nicht Esperanto. Der Bedeutung dieser Sprachutopie zollte jedoch die UNESCO Anerkennung. Zamenhofs Todestag wurde in die offizielle Liste der UNESCO-Gedenktage 2017 aufgenommen.
Die Stadtregierung von Białystok hat sich für ihren illustren Sohn, der darum gekämpft hat, dass Europäer einander besser verstehen, freilich nicht sonderlich interessiert. Als 2016 im Stadtrat der Antrag eingebracht wurde, in seinem hundertsten Todesjahr 2017 mit einem offiziellen Programm an ihn zu erinnern, wurde das mit den Stimmen der nationalkonservativen Partei PiS („Recht und Gerechtigkeit“) abgelehnt. Esperanto, so hieß es, habe heute keine Bedeutung mehr. Über diese Entscheidung wurde ursprünglich nur in einigen polnischen Zeitungen berichtet. Als aber die Nachrichtenagentur Agence France-Presse und dann Yahoo die Nachricht international bekannt machten, erschienen auf der ganzen Welt Berichte über das verleugnete Erbe Ludwik Zamenhofs und den nationalistischen Antisemitismus der PiS-Partei.

Liliana Feierstein (Berlin): Über Esperanto als jüdische, europäische und internationale Sprache