“Allah wird schon helfen”. Die Arabistin Hedwig Klein

Europäisches Tagebuch 19.2.2021: Heute vor 110 Jahren wurde Hedwig Klein in Antwerpen geboren. Bald darauf zog die Familie nach Hamburg.
Ihren Vater, den Kaufmann Abraham Wolf Klein, verliert sie mit nicht einmal fünf Jahren. Er stirbt als Soldat an der Ostfront für das Deutsche Reich. Hedwig Klein schreibt sich 1931 an der Universität zum Studium ein. Ihre Wahl: Islamwissenschaft, Semitistisk und englische Philologie. 1937 ist ihre Doktorarbeit geschrieben: die kritische Edition einer arabischen Handschrift über die islamische Frühgeschichte. Doch Juden sind ab dem Frühjahr 1937 nicht mehr zur Doktorprüfung zugelassen.
Hedwig Klein ist hartnäckig, sie überzeugt die Universitätsleitung dazu, eine Ausnahme zuzulassen. Ihre Arbeit wird mit der Bestnote „Ausgezeichnet“ bewertet, ihr Betreuer Arthur Schaade bescheinigt ihr ein „Maß an Fleiß und Scharfsinn, das man manchem älteren Arabisten wünschen würde.“

Hedwig Klein

1938 soll die Arbeit gedruckt werden, auch die Promotionsurkunde ist schon aufgesetzt, doch dann wird das Imprimatur zurückgezogen. Das Verbot, Juden zu promovieren, wird nun mit aller Gründlichkeit durchgesetzt.
Nun plant Hedwig Klein ihre Emigration. Doch es gelingt ihr nicht, ein Visum zu erhalten, weder in Frankreich noch in den USA. Mit Hilfe des Hamburger Wirtschaftsgeographen Carl August Rathjens erhält sie schließlich die Einladung eines Arabisch-Professors in Bombay. Und am 19. August sticht ihr Dampfer von Hamburg aus in See. Zwei Tage später schreibt sie Rathjen eine hoffnungsvolle Postkarte. „Allah wird schon helfen…“
Doch in Antwerpen erhält das Schiff den Befehl zurückzukehren und einen deutschen Hafen anzulaufen. Da ist der deutsche Überfall auf Polen schon in Vorbereitung, und damit der nächste Weltkrieg.

Noch einmal hilft ihr Arthur Schaade. Klein wird dem gerade in die NSDAP eingetretenen Arabisten Hans Wehr empfohlen. Die Reichsregierung, so fordert Wehr, solle sich „die Araber“ zu Verbündeten machen, gegen Frankreich und England, und gegen die Juden in Palästina. Und das Auswärtige Amt wiederum sieht in Hans Wehr den richtigen Mann für die Erarbeitung eines deutsch-arabischen Wörterbuches. Denn das braucht es nun dringend, nicht zuletzt für eine gelungene Übersetzung von „Mein Kampf“ ins Arabische.

Ihre Mitarbeit am deutsch-arabischen Wörterbuch bewahrt Hedwig Klein zunächst vor der Deportation nach Riga im Dezember 1941, die Schaade mit einer Intervention gerade noch verhindern kann. Klein sei unersetzbar.
Doch am 11. Juli 1942 ist es soweit. Der erste Deportationszug, der von Hamburg direkt ins Vernichtungslager Auschwitz führt, bringt auch Hedwig Klein zu ihren Mördern. So, wie auch ihre Schwester, ihre Mutter und ihre Großmutter ermordet werden.

1947 setzt Carl August Rathjen durch, dass Hedwig Kleins Dissertation nun doch gedruckt, und sie in „Abwesenheit“ zum Doktor der Philosophie erklärt wird.
Hans Wehr wird nach dem Krieg als Mitläufer eingestuft und nutzte Kleins Mitarbeit zu seiner Entlastung. Das deutsch-arabische Wörterbuch erscheint 1952. Im Vorwort dankt Wehr einem „Fräulein Dr. H. Klein“ für ihre Mitwirkung. Ohne ein Wort über ihr Ende.
„Der Wehr“ ist bis heute das meistbenutzte deutsch-arabische Wörterbuch, 2011 zuletzt in der 5. Ausgabe erschienen.

Danke an Stefan Buchen, der die Geschichte Hedwig Kleins in seinem Aufsatz auf der Website Quantara.de lebendig schildert.

https://de.qantara.de/inhalt/die-jüdin-hedwig-klein-und-mein-kampf-die-arabistin-die-niemand-kennt

Rückblick, 19.2.2020: Im hessischen Hanau erschießt ein 43jähriger Deutscher neun Menschen mit „ausländischer Herkunft“, in zwei Shishabars und auf offener Straße, und verletzt sechs weitere, zum Teil schwer. Schließlich erschießt er zu Hause seine Mutter und sich selbst. Vor dem Anschlag hat der Täter einen rechtsradikalen Aufruf im Internet verbreitet, der von antisemitischen, islamfeindlichen, frauenfeindlichen und rassistischen Verschwörungstheorien geprägt ist: eine „Botschaft an das gesamte deutsche Volk“.
Der Täter hatte offenbar auch psychische Probleme, was Vertreter der rechten AFD später veranlasst, eine politische Motivierung der Tat in Abrede zu stellen. Josef Schuster, der Vertreter des Zentralrats der Juden in Deutschland, erklärt hingegen, es sei „davon auszugehen, dass der Täter bewusst Menschen mit Migrationshintergrund treffen wollte“ und wirft Polizei und Justiz vor, auf dem „rechten Auge eine Sehschwäche“ zu haben. Unter den Opfern des Anschlags sind Deutsche mit türkischem, kurdischem, bosnischem und afghanischem Hintergrund, deutsche und rumänische Roma. Sie alle hat der Täter gezielt attackiert, oder blindwütig durch die Tür einer Shishabar erschossen.