Europäisches Tagebuch, 3.8.2021: Heute vor 73 Jahren starb Rosika Schwimmer in New York.
von Felicitas Heimann-Jelinek
Der Begriff „Feminismus“ ist heute nicht mehr in einem Satz erklärbar, geschweige denn mit einem einzigen Begriff übersetzbar. Feminismus, das meint heute einen komplexen Pool an Strömungen sozial-politischer Anliegen und Agenden. So spricht man im aktuellen Diskurs von Feminismen, nicht von Feminismus – und die jeweiligen Interpretationen und Funktionen gegenwärtiger Feminismen sind von Fragen nach den jeweils gesellschaftlich bedingten spezifischen Dimensionen von natürlichem oder konstruiertem, sozialem und ethnischem Geschlecht geprägt.
Eine solche Ausdifferenzierung hätte sich Rosika Schwimmer, am 11. September 1877 in eine Budapester jüdische Familie hineingeboren, auch als eine der profiliertesten Frauenrechtlerinnen ihrer Zeit wohl kaum vorstellen können. Doch sehr wohl war sie eine überraschend moderne Feministin. Ihr war eben nicht nur das Recht der Frauen, sondern das Recht aller ein Anliegen. So setzte sie sich auch vehement gegen Kinderarbeit und für den Weltfrieden ein.
Rosika Schwimmer entsprach nicht der Norm einer Frau ihrer Zeit. Nach einjähriger Ehe ließ sie sich scheiden. Vermutlich war sie lesbisch, disziplinierte ihre Sexualität allerdings mit Morphin. Sie war stur, rechthaberisch, dominant, dynamisch – eine Kämpfernatur. 1897 gründete sie den Verein für weibliche Büroangestellte, 1903 den ersten ungarischen Arbeiterinnenverein, 1904 schließlich den Verein ungarischer Feministinnen. Rosika Schwimmer entsprach auch weder dem weiblichen Schönheitsideal, noch folgte sie dem Dresscode ihrer Zeit. Sie neigte zu Korpulenz, trug Dutt, Kneifer und – kein Korsett. Nach damaligen Maßstäben agierte sie auch nicht „typisch weiblich“, eher „typisch männlich“. Als Streiterin für wirtschaftliche, soziale und politische Gleichberechtigung erwarb sie sich einen Ruf als führende Verfechterin der Frauenrechte in Ungarn.
Als Schwimmer 1914 das erste Mal in den USA ankam, wurde sie mit offenen Armen empfangen. Die jüdische Presse überschlug sich vor Euphorie über „Ungarns große Jüdin, Liebling der Frauenrechtlerinnen in Europa und Amerika.“ 15 Jahre später überschlug sich die rechte Presse vor Hass gegen sie. Mal wurde sie als Spionin für die Deutschen, mal als ebensolche für die Bolschewiki beschimpft, vor allem aber, „weit gefährlicher“, als „Agentin der politisch-ökonomischen Bewegung des Judentums“. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie schon keinen Rückhalt in der amerikanisch-jüdischen Gemeinschaft mehr.
Denn Rosika Schwimmer war 1915 international durch ihre Peace Ship Expedition als Pazifistin noch bekannter geworden, als sie es als Feministin schon war. Gemeinsam mit Louis Lochner überredete sie den Automobil Tycoon Henry Ford, eine diplomatische Amateurmission nach Europa zu entsenden, um ein Ende des Ersten Weltkriegs zu vermitteln. Doch die von der Presse weithin verspottete Mission war wenig überraschend erfolglos. In diesem Zusammenhang distanzierten sich die amerikanischen Juden von Schwimmer und beschuldigten sie, Henry Fords antisemitische Kampagne während der kurzlebigen, doch äußerst medienwirksamen Peace Ship Expedition angefacht zu haben. Die Kampagne war kein Ausrutscher; Ford betätigte sich immer wieder als antisemitischer Publizist. Während des Nürnberger Prozesses sollte der Reichsjugendführer der NSDAP, der Wiener Gauleiter und Reichsstatthalter Baldur von Schirach erklären: „Das ausschlaggebende antisemitische Buch, das ich damals las und das Buch, das meine Kameraden beeinflußte […], war das Buch von Henry Ford ‚Der internationale Jude‘. Ich las es und wurde Antisemit.“ Kein Wunder also, dass viele GlaubensgenossInnen sie als Verräterin betrachteten. 1919 wurde Schwimmer kurzzeitig ungarische Botschafterin in der Schweiz, bald darauf musste sie aus Budapest vor dem weißen Terror nach Wien fliehen und emigrierte in die USA, wo der konsequenten Pazifistin die Einbürgerung verweigert wurde.
Aus heutiger Perspektive agierte Rosika Schwimmer am linken Rand der pazifistischen und der feministischen Bewegung. Im Dienste der guten Sache war sie wenig zimperlich und instrumentalisierte, wen sie instrumentalisieren konnte. Ihre kompromisslose Einstellung machte sie zur angegriffenen Außenseiterin in einer kriegsgetriebenen Welt der Ismen und Anti-Ismen, in der Rassismus, Chauvinismus, Anti-Kommunismus, Anti-Feminismus und Anti-Semitismus alltäglich waren.
Doch erfuhr sie Genugtuung: Kurz bevor Schwimmer 1948 staatenlos in New York verstarb, war sie zur Kandidatin für den Friedensnobelpreis gekürt worden. Nicht ahnen konnte sie, dass im Grunde nur 20 Jahre später ihr feministischer Aktionismus im Westen wieder aufgegriffen wurde und die neue Frauenbewegung stärker denn je den asymmetrischen Geschlechterverhältnissen in Familie, Gesellschaft, Politik und Religion die Stirn bot.