Oligarchenalltag in Ungarn

Rückblick, 25.8.2020: Ungarns Außenminister Peter Szijjarto zeigt sich in sozialen Medien in seinem Büro, wie er sich in zahlreichen Telefonaten mit seinen europäischen Kollegen um die Krise in Weissrussland kümmert. Schließlich hat er die besten Drähte zum Kreml. Vor allem aber wohl zu den Oligarchen, die die Macht von Ungarns Ministerpräsident Orban sichern und nach und nach alle Medien im Land kaufen. Die wenigen, die noch Nachrichten recherchieren und nicht nur Propaganda verbreiten, sorgen diese Woche allerdings für Heiterkeit in Ungarn. Während Szijjarto sich angeblich in seinem Büro um Weissrussland kümmert ist er tatsächlich mit seinem Urlaub auf See beschäftigt. Und das ist nicht nur lustig, weil der Außenminister offenbar über die Gabe der Bilokation verfügt, sondern auch aus anderen Gründen interessant: Anders als seine Landsleute, denen Orban dieses Jahr einen Urlaub in der Heimat verordnet, verbringt er die schönen Tage nicht auf dem Balaton-See, sondern vor der kroatischen Adriaküste auf einer Luxusyacht des Oligarchen Laszlo Szijj, der zum engsten Kreis der Orban Vertrauten gehört. Der Urlaub auf der 42 Meter langen und 21 Millionen Euro teuren Luxusyacht ist für ihn reine Privatsache. Auch wenn sie offenkundig sogar gegen die ungarischen „Antikorruptionsregeln“ verstößt. Luxusaffären wie diese gehören in Ungarn ohnehin längst zur Tagesordnung. So fielen Ungarns Vizepremier Zsolt Semjén und Orbáns ehemaliger Kanzleichef János Lázár mit teuren Jagdausflügen und Übernachtungen in Luxushotels auf. Orbáns Kabinettschef Antal Rogán machte 2016 mit einem Luxus-Helikopterflug zu einer Celebrity-Hochzeit Schlagzeilen. All das auf Einladung ebenjener Oligarchen, die nach und nach die letzten freien Medien im Lande aufkaufen. Vorzugsweise solche, die es wagen, über Korruption noch zu berichten.

Index auf dem Index. Zum Sterben der Pressefreiheit in Ungarn

Rückblick, 26.7.2020: Schon 80% aller Medien in Ungarn werden von der Regierung Viktor Orbans kontrolliert. Nun wird auch das letzte einflussreiche Medium ausgeschaltet, das für unabhängige Berichterstattung einstand: das Online-Portal Index, das mit anderthalb Millionen Leserinnen und Lesern zum reichweitenstärksten Medium des Landes geworden ist. Chefredakteur Szabolcs Dull wurde gestern vom neuen Chef der „Index-Stiftung“ László Bodolai zu einem Treffen außerhalb der Redakteursräume gebeten, um eine „geschäftliche Angelegenheit“ zu besprechen. Und bekam dort seine Kündigung überreicht. Inzwischen haben fast alle Redaktionsmitglieder aus Solidarität ebenfalls gekündigt, mehr als 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie sehen unter den jetzigen Umständen keine Chance mehr für unabhängigen Journalismus. Dull und seine KollegInnen haben die Gefahr kommen sehen.

Index erlebte in den letzten Jahren mehrere Eigentümerwechsel. Verschiedene Oligarchen wechselten einander ab, bis im Frühjahr, am ersten Tag des Corona-Notstands ein enger Vertrauter Orbans, Miklós Vaszily die Hälfte der der Anteile der Werbeagentur erwarb, die das Anzeigengeschäft von Index organisierte. Eine geschickte Übernahme durch die Hintertür. Vaszily, der schon mehrfach die Drecksarbeit für Orban erledigt hat, ließ keinen Zweifel daran, was als nächstes auf der Tagesordnung stehen könnte. Gestern war es schließlich so weit. Ungarn steht schon jetzt auf Platz 89 in der Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“. Dabei wird es nicht bleiben. Noch gibt es einige wenige Medien, die nicht gänzlich auf Regierungslinie sind. RTL Klub, HVG, 444.hu und 24.hu sind wohl die nächsten, deren Übernahme ansteht.

„Du bist Familie“ – oder: „Die Vorstadtbuben“

Europäisches Tagebuch, 6.4.2021: Die Chat-Protokolle verschiedener österreichischer Politiker lesen sich wie das Drehbuch einer neuen ORF-Serie unter dem Titel die „Vorstadtbuben“. Oder nicht doch besser “Die Familie” – schließlich geht es um die 26 Milliarden schwere Österreichische Staatsholding Öbag (Österreichische Beteiligungs AG).

„Du bist Familie“ – Gernot Blümel an Thomas Schmid.

Juni 2017: Sebastian Kurz lässt den Kabinettschef im Finanzministerium Thomas Schmid Ideen für die staatlichen Beteiligungen entwickeln. Schmid war in den 2000er Jahren Pressesprecher von Finanzminister Karl Heinz Grasser, dann Büroleiter des ÖVP-Klubobmanns und Ex-Kanzler Schüssel. 2013 wurde er Kabinettschef im Finanzministerium, zunächst unter Hans Jörg Schelling, dann unter Hartmut Löger.

Juli 2017: Sebastian Kurz wird neuer Parteichef der ÖVP und lässt die Koalition mit der SPÖ platzen.

November 2017: Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ werden auch die Posten in diversen von der Republik kontrollierten Unternehmen verteilt. Thomas Schmid an Sebastian Kurz: „cooler Deal für ÖVP“. Zu den ausgehandelten „Deals“ gehört auch die Umwandlung der damaligen Staatsholding Öbib GmbH in eine Aktiengesellschaft, die Öbag.

Dezember 2017: Thomas Schmid bittet Sebastian Kurz, dafür zu sorgen, dass die Zuständigkeit für die neue Staatsholding beim Finanzministerium bleibt. Aus seinen Ambitionen, zur Staatsholding zu wechseln macht er intern kein Geheimnis. Aber Kurz wolle noch, dass er im Finanzministerium bleibe.
Wenig später fordert Schmid den neuen Kanzleramtsminister Gernot Blümel auf, er möge ihm helfen, das neue Gesetz „rasch umzusetzen! Das bist du mir echt schuldig!“. Offenbar ist er nervös. Aber vielleicht scherzt er ja auch nur: „Ich stürze mich heute in die Donau und du bist schuld!“ schreibt Schmid an Blümel. „Alles ein Schaas“, antwortet Blümel.

Februar 2018: Gerüchte über die geplante Neuaufstellung der Staatsholding und eine mögliche Besetzung des Spitzenjobs mit Thomas Schmid, inzwischen Generalsekretär im Finanzministerium, sickern durch. „Ich will keine ÖBIB Storys mehr“, lässt Schmid einen Pressesprecher wissen. Die würden ihm nur schaden. Kanzler Kurz verspricht, bei der Presse zu intervenieren. Thomas Schmid an Kanzler Kurz: „Dich zu haben ist so ein Segen! Es ist so verdammt cool jetzt im BMF (Finanzministerium; Anm.)!!! Danke Dir total dafür!!“

Juli 2018: Thomas Schmid plant schon seinen Umzug in die Chefetage der noch nicht gegründeten Öbag. Es geht um solche Details, wie die Frage, welcher Chauffeur mitkommt und den Einbau einer Klimaanlage.

5. Oktober 2018: Thomas Schmid lässt den damaligen Kanzleramtsminister und Regierungskoordinator Gernot Blümel wissen, es sei mit der FPÖ ein „gutes Paket“ vereinbart: türkiser Alleinvorstand bei der Öbag und zwei Aufsichtsratsposten für die FPÖ.

Im November 2018 macht sich Thomas Schmid noch einmal Sorgen, seine Bestellung zum Alleinvorstand der ÖBAG könnte an Ungeschicklichkeiten des Finanzministers scheitern. Am 13. November tauscht er sich mit einem Pressereferenten im Finanzministerium über Finanzminister Hartwig Löger aus:
Schmid: „Das ist totale Unprofessionalität. Wenn seine Dummheit verhindert, dass ich in die Öbag darf, bin ich echt sauer.“
Pressereferent: „Das können sie dir nicht mehr nehmen. Das wäre komplett irre.“
Schmid: „Hoffentlich. Das schadet alles unserem Ruf. Der fährt das BMF an die Wand kommunikativ. (…) Bei dem musst du so aufpassen. Alles du machen. Und wenig Medien. Fernsehen vermeiden.“
Pressereferent: „Aber wie können wir ihm beibringen, dass er fleißig sein muss und Briefings forciert?“
Schmid: „Gar nicht. Das ist ein 60-jähriger Mann.“

Dezember 2018: Das neue Öbag-Gesetz wird beschlossen. „SchmidAG fertig“, lässt Gernot Blümel Thomas Schmid wissen (unter Hinzufügung eines kräftigen Oberarm-Emojis).

Januar 2019: Es werden Aufsichtsratsmitglieder für die ÖBAG gesucht. Als Beraterin Schmids für die Suche nach weiblichen Aufsichtsratsmitgliedern fungiert Gabriela Spiegelfeld. Gabriela Spiegelfeld hat offenbar Mühe, Frauen zu finden, die sich dafür hergeben: Sie schreibt an Schmid: „Mir gehen die Weiber so am Nerv. Scheiß Quote“.
Wonach gesucht wird zeigt sich in einer Nachricht von Schmid an Kanzler Kurz am 24.1.2019: „wirklich eine gute! Compliant, Finanzexpertin, steuerbar, Raiffeisen und sehr gutes Niederösterreich Netzwerk, Sie hat für NÖ auch delikate Sachen sauber erledigt“.
Auch bei Finanzminister Löger beklagt sich Schmid: „Bestellung in der ÖBAG stockt – Frauenthema“ und bemerkt „Sophie Karmasin wäre gut steuerbar“.

Die Ausschreibung für die Besetzung des Alleinvorstands wird nun auf ihn zugeschnitten. „Ich bin aber nicht international erfahren. Ich habe immer in Österreich gearbeitet“, schreibt Schmid einer Mitarbeiterin. Die entsprechende Anforderung in der Ausschreibung wird gestrichen.

15. Februar 2019: der neue Aufsichtsrat der Öbag wird bestellt. Bis zuletzt gibt es Probleme mit Kandidaten. Die favorisierte Aufsichtsratschefin sagt noch am Vortag ab. Auch der ehemalige deutsche – und über eine Plagiatsaffäre gestolperte – Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist im Gespräch. Schließlich übernimmt Helmut Kern den offenbar ungeliebten Job.

Anfang März 2019: Thomas Schmid, noch Generalsekretär im Finanzministerium, trifft sich mit dem Generalsekretär der Bischofskonferenz, Peter Schipka. Es geht um die Kritik der Kirchen an der Flüchtlingspolitik der Regierung. Als Druckmittel auf die Kirche wird eine Streichung kirchlicher „Steuerprivilegien“ und eine Kürzung von Förderungen erwogen. „Wir werden ihnen ordentliches Package mitgeben“, schreibt Schmid an Kanzler Kurz. „Im Rahmen eines Steuerprivilegien-Checks aller Gruppen in der Republik wird für das BMF (Finanzministerium) auch die Kirche massiv hinterfragt“.
Kanzler Kurz vor dem Gespräch an Schmid. „Ja super. Bitte Vollgas geben.“
Schmid nach dem Gespräch an Kanzler Kurz am 13.3.2019: „Also Schipka war fertig!“ Er habe ihm die Pläne zur Streichung von Steuerprivilegien und zur Kürzung von Förderungen dargelegt. „Er war zunächst rot, dann blass, dann zittrig. Er bot mir Schnaps an, den ich in der Fastenzeit ablehnte weil Fastenzeit.“

Kurz’ Kommentar: „Super danke vielmals!!!! Du Aufsichtsratssammler:)“ Schmid: „Das ist dort mein Hauptberuf – bitte mach mich nicht zu einem Vorstand ohne Mandate. Das wäre ja wie Wiener Stadtrat ohne Portfolio.“ Kurz: „Kriegst eh alles was du willst“ (drei Küsschen-Emojis). Schmid: „Ich bin so glücklich :-))) … Ich liebe meinen Kanzler“.

25. März 2019: Thomas Schmid und Sebastian Kurz sind beim Industriellen Klaus Ortner zum Abendessen eingeladen, dem Großspender der „neuen ÖVP“, „familiär und gemütlich“ wie Schmid schreibt. „Den Kanzler erlebt man auch nicht oft so entspannt!“, bedankt er sich in einer SMS bei Ortner. Ortners Tochter ist kurz zuvor in den Öbag-Aufsichtsrat bestellt worden. Mit fünf der neun Mitglieder hat sich Schmid in den vergangenen zwei Wochen persönlich getroffen.

26. März 2019: Hearing für die Besetzung des Alleinvorstands der Staatsholding Öbag. Thomas Schmid wird, wie zu erwarten, als „bester Bewerber“ eingestuft. „Hearing ist super gelaufen. War der Beste. Trotz einiger guter Bewerber“, schreibt er an den Mann von Gabriela Spiegelfeld – den Immobilienunternehmer Georg Spiegelfeld, Aufsichtsrat der Bundesforsten.

27. März 2019: Thomas Schmid wird zum Alleinvorstand der Staatsholding Öbag bestellt.

Ein Jahr später – die türkis-blaue Koalition ist Geschichte – ist die Postenbesetzung Gegenstand im Ibiza-Untersuchungsausschuss:

Gernot Blümel im Ibiza-Untersuchungsausschuss am 25.6.2020: „Nun, was die Vorstandsbestellung in der Öbag betrifft, so ist das ja auch klar geregelt, dass das eine Aufgabe des Aufsichtsrates der Öbag ist. Ich war ja lediglich im Nominierungskomitee der Öbib dabei, und insofern ist auch das nicht in meinen Zuständigkeitsbereich gefallen.“

Sebastian Kurz im Ibiza Untersuchungsausschuss am 24.6.2020: „Von mir ist das nicht ausgegangen, aber soweit ich mich erinnern kann, hat er mich irgendwann davon informiert, dass er sich bewerben wird. Es war auch in den Medien ein Thema.“ „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich für ihn eingesetzt habe, aber ich habe ihn für qualifiziert gehalten.“

Quellen: Reichlich, z.B.:

https://www.derstandard.at/story/2000125434848/wie-die-chats-zu-den-aussagen-von-schmid-kurz-co

Rückblick, 6.4.2020: Inzwischen sind mehr als 250.000 irgendwo auf dem Erdball gestrandeter Europäer auch mit Hilfe der EU in ihre Heimatländer zurückgeflogen worden. Weitere 350.000 hätten Antrage auf Rückholung gestellt, doch angesichts der zunehmenden Schließung der Lufträume werde diese immer schwieriger, warnt der EU-Außenbeauftragte Joseph Borrell.

Im Marchfeld in Österreich fehlen inzwischen alleine für die Spargelernte 3000 rumänische Erntehelfer. Eklatante Ernteausfälle werden erwartet. Währenddessen machen Firmen dubiose Geschäfte mit unterbezahlten einheimischen Leiharbeitern, die mit illegalen Vertragskonstruktionen beschäftigt werden.

FPÖ-Chef Norbert Hofer fordert das Ende der EU als politische Union.

Lieferketten

Europäisches Tagebuch, 3.3.2021: Österreichs Bundeskanzler Kurz sagt, er wolle sich nicht länger von der EU abhängig machen und sich zusammen mit Dänemark und Israel um eine eigene Produktion von Impfstoffen kümmern. Der Wissenschaftsredakteur des ORF, Günter Mayer, kommentiert diesen Vorstoß trocken mit den Worten, hier ginge „es nicht um eine Apfelquetsche“. Eine solche komplexe Produktion ließe sich nicht per Dekret in kurzer Zeit hochfahren, und hier hätte es Österreich mit Pharmakonzernen zu tun, deren Umsätze höher seien, als der Österreichische Staatshaushalt. Um das nicht weiter schmerzhaft auszuwalzen: die großartigen Ankündigungen des Bundeskanzlers sind offenkundig heiße Luft, die von anderen Problemen ablenken soll. Z.B. von folgendem: Am gleichen Tag wurde bekannt, dass in einem österreichischen Vorzeigebetrieb, dem Unternehmen „Hygiene Austria“, das Mund-Nasen-Schutzmasken herstellt, eine Hausdurchsuchung stattgefunden hat. Es ist dies der Betrieb, zu dem Sebastian Kurz im Mai 2020 stolz getwittert hat: „Die Corona-Krise hat gezeigt, dass wir uns bei der Produktion von wichtiger Schutzausrüstung nicht zur Gänze auf internationale Lieferketten verlassen dürfen“.

Die Hausdurchsuchung erfolgte aufgrund des Verdachts, dass aus China gelieferte Masken in Österreich durch in Schwarzarbeit ohne Sozialversicherungsbeiträge beschäftigte Arbeitskräfte um-etikettiert und zu einem höheren Preis als chinesische Masken verkauft worden sein. ‚Hygiene Austria‘ hat dies entschieden zurückgewiesen und natürlich gilt die Unschuldsvermutung. Pikantermaßen gibt es ein Naheverhältnis der Firma zu einer engen Mitarbeiterin des Kanzlers, wie schon am 4. August 2020 die Rechercheplattform Addendum berichtete: der Mann von Sebastian Kurz‘ Büroleiterin ist zu 25% an einer der beiden Firmen beteiligt denen „Hygiene Austria“ gehört, und die nun mit staatlichen Großaufträgen für Österreichs Masken-Autarkie sorgen soll. Und Geschäftsführer von “Hygiene Austria” ist deren Schwager. (https://www.addendum.org/coronavirus/vertragsdetails-geheim/)

An der gepriesenen Autarkie scheint es zu hapern. Aber als Parole zur nationalen Erweckung – und zur Ablenkung von den sich langsam akkumulierenden Ermittlungen und Hausdurchsuchungen im engeren politischen Vertrautenkreis des Kanzlers – taugen wohl auch um-etikettierte chinesische Masken. Oder vielleicht in Zukunft auch um-etikettierte Impfstoffe? Immerhin, die Chinesen haben ihren Impfstoff ja vorsorglich nach einem österreichischen Kanzler benannt: “Sinovac”.

Die Zahlen der Corona-Toten wächst weiter. In den USA sind längst mehr als 500.000 Menschen an der Pandemie verstorben. Neue Meldungen über Unregelmäßigkeiten der Bekanntgabe von Toten in Heimen, wie sie gerade den bisher so heldenhaften Ruf des demokratischen Gouverneurs des Staates New York, Mario Cuomo, erschüttern, lassen eine unbekannte Dunkelziffer von Toten erahnen. Die es auch in anderen Bundesstaaten geben dürfte. Besonders hoch scheinen diese Dunkelziffern in Russland und Mexiko zu sein, wenn die Übersterblichkeit als Faktor mit in Betracht gezogen wird. Selbst die russische Regierung traut den offiziellen Zahlen nicht. Danach seien bis Ende 2020 erst 57.000 Menschen in Russland an Covid-19 verstorben und bis Mitte Februar etwa 81.000. Die Übersterblichkeit in Russland im Jahr 2020 forderte hingegen 323.000 Menschenleben. Kurz vor dem Jahreswechsel erklärte sogar Russlands Vizepremierministerin Tatjana Golikowa, die Übersterblichkeit sei zu 81 Prozent auf Covid-19 zurückzuführen. Das entspräche knapp 261.000 an Covid-19 Verstorbenen bis Ende 2020. Andere Berechnungen gehen von mehr weit mehr als 300.000 Toten aus.
Russland, das stolz darauf ist, mit „Sputnik V“ den ersten Impfstoff zum Einsatz gebracht zu haben, nutzt das offenbar tatsächlich hochwirksame Vakzin indessen vor allem als Exportschlager, so nach Mexiko und Serbien, Paraguay oder Ägypten – während die Impfung der eigenen Bevölkerung hintansteht. Das führt zu dem paradoxen Ergebnis, dass Sputnik V möglicherweise dazu beitragen wird, Covid-19 in ärmeren Ländern zu bekämpfen. Jedenfalls, wenn es gelingt die geplante Produktion in Brasilien und Indien hochzufahren. In Russland selbst, vor allem jenseits der Metropole Moskau, ist offenbar weiterhin vor allem Herdenimmunität durch Infektion das verbreitetste Rezept für den Erwerb von Antikörpern.

Nachtrag am 9. März 2021: Inzwischen haben sich die Vorwürfe gegen “Hygiene Austria” und die beiden Mutterkonzerne Lenzing und Palmers erhärtet. Während “Hygiene Austria”-Geschäftsführer Tino Wieser immer noch davon spricht, wie “stolz” er sei, 200 Arbeitsplätze in Österreich geschaffen zu haben, ist bekannt geworden, dass diese vor allem in Scheinfirmen bestehen. Scheinfirmen, die entweder Arbeitskräfte offiziell “geringfügig” beschäftigen, tatsächlich aber schwarz in Vollzeit arbeiten lassen, oder die sich der Sozialversicherungsbeiträge durch rechtzeitig herbeigeführtem Konkurs entledigen. Auch Zuschüsse für nicht erfolgte Kurzarbeit seien eingestrichen worden. Auch der Verdacht, dass die “heimische” Produktion zum Teil in China stattfand, die Masken dann von Schwarzarbeitern aber in “Hygiene Austria”-Kartons umgepackt worden sind, scheinen sich nun zu bestätigen.

Rückblick, Anfang März, 2020: Die EU kofinanziert die Lieferung von 25 Tonnen Schutzausrüstung für China. Die Europäische Kommission mahnt die nationalen Regierungen in Europa, ihren Bedarf an Schutzmasken, Testkits und Beatmungsgeräten zu melden. Es wird aber noch Wochen dauern, bis die ersten Anforderungen durchgegeben werden.
Erste Fälle von Covid-19 werden in Großbritannien gemeldet. Dominic Cummings, Berater des britischen Premiers Boris Johnson fasst die Strategie der britischen Regierung folgendermaßen zusammen: „herd immunity, protect the economy and if that means some pensioners die, too bad“. Downing Street No. 10 dementiert.

Auch Donald Trump hat sich wieder zu Covid-19 geäußert: „Es ist eine Grippe, wie eine Grippe.“

Freunderldienste leicht gemacht

Europäisches Tagebuch, 24.9.2020: Finanzminister Blümel lässt es also drauf ankommen. Der österreichische Antrag wird nicht korrigiert. Der Wiener Wahlkampf ist ohnehin wichtiger als die Notstandshilfen für die leidende Wirtschaft. Und da es mit deren Verteilung eh nicht sehr rund läuft, ist es gut einen Sündenbock dafür zu haben: Brüssel.
Dabei hätte die EU-Kommission allen Grund, Österreich sehr viel deutlicher die Rute ins Fenster zu stellen, als sie es tut. Im Moment blühen nämlich Konstruktionen, die Korruption – oder zumindest Freunderldienste – geradezu planmäßig fördern.
Statt die Auszahlung von 15 Milliarden Hilfsgeldern für Unternehmen über das Finanzamt zu regeln, und damit unter öffentlicher Kontrolle durch Parlament und Rechnungshof, hat der Bund eine „Covid-19 Finanzierungsagentur“ als Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet. Die Cofag soll der notleidenden Wirtschaft mit Fixkostenzuschüssen und Überbrückungsgarantien zur Seite stehen und wird vom Bund entsprechend finanziell aufgestellt. „Gemäß § 6a Abs. 2 ABBAG-Gesetz stattet der Bund die COFAG so aus, dass diese in der Lage ist, kapital- und liquiditätsstützende Maßnahmen, die ihr gemäß § 2 Abs. 2 Z 7 ABBAG-Gesetz übertragen wurden, bis zu einem Höchstbetrag von 15 Milliarden Euro zu erbringen und ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen.“ Der Vorteil dieser Konstruktion liegt auf der Hand: eine GesmbH ist schließlich dem Parlament nicht auskunftspflichtig.

Florian Scheuba meint dazu bissig im Standard: „Nicht nur Abgeordnete der Opposition können somit nicht mehr mit lästigen Fragen wie “Wer bekommt wie viel Steuergeld und warum?” nerven. Auch Antragsteller können sich die Bitte um Begründung, warum ihr Hilfsantrag abgelehnt wird, sparen, denn Cofag-Beiratsmitglieder sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Bleibt als letzte Hoffnung der Rechnungshof? Nein, denn auch dessen Ansinnen nach begleitender Kontrolle kann die Agentur mit einem herzhaften “Cofag yourself” abschmettern. Hier wird also gerade ein blickdichter Darkroom für künftige Mauscheleien geschaffen. Wie finster der wird, lassen die jüngsten Vorgänge rund um einen 800.000-Euro-Vertrag der Cofag mit einer zunächst geheim gehaltenen PR-Agentur erahnen. “Das Geld fließt nicht in Eigen-PR, sondern etwa in die Betreuung der Homepage oder die Beantwortung von Medienfragen”, meint Cofag-Geschäftsführer Bernhard Perner“.

Mal schauen, wieviele Medienanfragen es – angesichts der bekannt kritischen Presselandschaft in Österreich – so geben wird.