Fachdebatten und Debakel

Europäisches Tagebuch, 3.2.2020: Im Rahmen des EU-Katastrophenschutzverfahrens wurden gestern von deutschen und französischen Flugzeugen die ersten EU-Bürger aus Wuhan evakuiert.

Unter wissenschaftlichen Fachzeitschriften beginnt eine Auseinandersetzung darüber, wie ernst das neue Corona-Virus genommen werden muss. Die Fachzeitschrift The Lancet hat einen alarmierenden Artikel von Camilla Rothe und Michael Hölscher veröffentlicht, der davor warnt, dass Erkrankte offenbar anstecken sind, bevor erste Symptome auftreten.

Nun kontert die Zeitschrift Science, die davon erfahren hat, dass Mitarbeiter des deutschen Robert Koch Instituts sich gegenüber The Lancet kritisch geäußert hätten. Ihrer Einschätzung nach hätten Covid-Infizierte, die den Virus übertragen hätten, ihre leichten Symptome bloß übersehen. The Lancet erschien dies hingegen eine irrelevante Spitzfindigkeit. Offenbar kamen doch sowohl Rothe/Hölscher wie auch die Mitarbeiter des Robert Koch Instituts im Grunde zum selben Ergebnis: Covid-19 wird beiden Forschergruppen zufolge übertragen, bevor die Infizierten etwas von ihrer Infektion bemerken.

Clemens-Martin Wendtner, der die inzwischen acht Covid-19 Patienten in München versorgt, macht die alarmierende Entdeckung, dass Abstriche in Nasen und Rachenraum seiner Patienten eine weitaus höhere Virenlast ergeben, als bei SARS Patienten. Auch dies deutet daraufhin, dass sie schon ansteckend waren, bevor sie überhaupt etwas davon mitbekommen haben, dass sie krank sind.

Science hingegen nutzt den Streit, um die Ergebnisse von Rothe und Hölscher grundsätzlich in Frage zu stellen. Und dies mit dramatischen Folgen. Rothes und Hölschers Artikel wird zunächst weithin nicht ernst genommen. Noch wochenlang ignorieren Fachkollegen und Politiker ihre Warnungen vor einer stillen Verbreitung. Im März hingegen wird eine britische Studie zeigen, dass sogar 50% der Ansteckungen mit Covid-19 erfolgen, bevor die ersten wahrnehmbaren Symptome auftreten.