Omri Boehm: Israel neu denken

Europäisches Tagebuch, 3.12.2020: Gestern hatten wir den israelischen Philosophen und politischen Denker Omri Boehm zu Gast, gemeinsam mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Bodensee-Region.
Sein Buch “Israel – eine Utopie” sorgt für lebendige Diskussionen und reiht sich ein in eine wachsende Zahl kritischer Stimmen, die nicht länger dem gescheiterten Phantom einer “Zweistaatenlösung” nachhängen, sondern neue Vorstellungen eines binationalen Staats eröffnen.
An unserem Zoom-webinar mit ihm nahmen 150 Gäste  von Wien bis New York und Berlin bis Zürich teil. Hier der Mitschnitt der Veranstaltung, die weitgehend in Englisch stattfand.

 Zwischen einem jüdischen Staat und einer liberalen Demokratie besteht ein eklatanter Widerspruch. Denn Jude (und damit vollwertiger israelischer Staatsbürger) ist nur, wer “jüdischer Abstammung“ ist – oder religiös konvertiert. In seinem großen Essay entwirft Boehm die Vision eines ethnisch neutralen Staates, der seinen nationalistischen Gründungsmythos überwindet und so endlich eine Zukunft hat.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich Israel dramatisch verändert: Während der religiöse Zionismus immer mehr Zuspruch erfährt, fehlt es Linken wie Liberalen an überzeugenden Ideen und Konzepten. Die Zwei-Staaten-Lösung gilt weithin als gescheitert. Angesichts dieses Desasters plädiert Omri Boehm dafür, Israels Staatlichkeit neu zu denken: Nur die Gleichberechtigung aller Bürger kann den Konflikt zwischen Juden und Arabern beenden. Aus dem jüdischen Staat und seinen besetzten Gebieten muss eine föderale, binationale Republik werden. Eine solche Politik ist nicht antizionistisch, sondern im Gegenteil: Sie legt den Grundstein für einen modernen und liberalen Zionismus.

Omri Boehm, geboren 1979 in Haifa, studierte in Tel Aviv und diente beim israelischen Geheimdienst Shin Bet. In Yale promovierte er über “Kants Kritik an Spinoza”, heute lehrt er als Professor für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Er ist israelischer und deutscher Staatsbürger, hat u.a. in München und Berlin geforscht und schreibt über israelische Politik in Haaretz, Die Zeit und The New York Times.

Das Buch
Omri Boehm: Israel – eine Utopie
Propyläen Verlag, Berlin 2020, Gebunden, 256 Seiten,
€ 20,60, ISBN 978-3-549-10007-3

 

 

3 Gedanken zu „Omri Boehm: Israel neu denken

  1. Zum Thema Religion, Nation und Staat in den 22 arabischen Staaten
    “Yemen’s constitution:
    Article (1) The Republic of Yemen is an Arab, Islamic and independent sovereign state whose integrity is inviolable, and no part of which may be ceded. The people of Yemen are part of the Arab and Islamic nation.
    Article (2) Islam is the religion of the state, and Arabic is its official language.
    Article (3) Islamic Shari’ah is the source of all legislation.

    Syria’s constitution:
    Article 1 [Arab Nation, Socialist Republic]
    (1) The Syrian Arab Republic is a democratic, popular, socialist, and sovereign state. No part of its territory can be ceded. Syria is a member of the Union of the Arab Republics.
    (2) The Syrian Arab region is a part of the Arab homeland.
    (3) The people in the Syrian Arab region are a part of the Arab nation. They work and struggle to achieve the Arab nation’s comprehensive unity.
    Article 3 [Islam]
    (1) The religion of the President of the Republic has to be Islam.
    (2) Islamic jurisprudence is a main source of legislation.

    Saudi Arabia’s constitution:
    Article 1
    The Kingdom of Saudi Arabia is a sovereign Arab Islamic state with Islam as its religion; God’s Book and the Sunnah of His Prophet, God’s prayers and peace be upon him, are its constitution, Arabic is its language and Riyadh is its capital.

    Kuwait’s constitution:
    Article 1
    Kuwait is an independent sovereign Arab State. Neither its sovereignty nor any part of its territory may be relinquished.
    The people of Kuwait is a part of the Arab Nation.
    Article 2
    The religion of the State is Islam, and the Islamic Sharia shall be a main source of legislation.

    Algeria’s constitution:
    Article 1 [Democracy, Republic]
    Algeria is a People’s Democratic Republic. It is one and indivisible.
    Article 2 [State Religion]
    Islam is the religion of the State.

    • Danke für den Hinweis, der das Problem deutlich macht. All dies sind Staaten, die wir kaum als Demokratie betrachten würden. Israel mit diesen Staaten zu vergleichen würden manche Eiferer heute vermutlich “antisemitisch” finden. Wir wollen aber das Israel eine Demokratie ist, die mit europäischen Standards vergleichbar ist. Unter den Staaten Nordafrikas bildet übrigens Marokko eine interessante Ausnahme, dort wird in der Verfassung Wert darauf gelegt, dass die arabische, die berberische und die hebräische Kultur die Grundlage des Staates darstellen.

  2. Die hebräische Kultur als Teil der “Grundlage des Staates” in der Verfassung eines solchen im Maghreb ist jedenfalls weit erfreulicher und akzeptabler als der Wortrülpser “Wir sind die neuen Juden” in den europäischen Nachfolgestaaten Kakaniens, Österreich und Ungarn, der sich von selbst als inakzeptabel qualifiziert.

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