Rückblick, 12.7.2020: Österreichs Kanzler Sebastian Kurz hat sein Herz für die „Ärmsten der Armen“ entdeckt. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung lässt er sich allerdings nicht in die Karten schauen, worauf er mit seinem Widerstand gegen die EU-Wiederaufbauhilfen wirklich hinauswill.
Natürlich wiederholt er seinen Stehsatz, dass ein Teil der Hilfen zurückgezahlt werden muss. Das sieht der aktuelle Vorschlag der EU-Kommission sowieso vor. Die Frage ist, wieviel? Und natürlich besteht er darauf, dass die Hilfen an Bedingungen geknüpft werden müssen. Auch das sieht der Vorschlag der EU.-Kommission natürlich ebenfalls vor. Doch welche Bedingungen sollen dies sein? Darüber ist von Kurz nur ähnlich Nebulöses zu vernehmen, wie von der Kommission selbst (Digitalisierung, Digitalisierung, Digitalisierung).
Nun aber macht Kurz ein neues Fass auf: die Frage nämlich, welche Länder am meisten Geld bekommen sollten. Nach dem Brüsseler Entwurf würden Italien, Spanien oder Polen die größten Hilfen erhalten. Bevölkerungsreiche Länder also, die besonders schwer von der Pandemie betroffen wurden. Kurz hingegen argumentiert nun so, als ginge es um milde Gaben: “Wir haben in der EU aber deutlich ärmere Länder. Mein Gerechtigkeitsempfinden sagt mir: Wenn wir in der EU so viel Geld in die Hand nehmen, dann sollte es vor allem an die Ärmsten der Armen fließen. Wenn man die Arbeitslosigkeit der Jahre von 2015 an zum Kriterium macht, wie derzeit vorgeschlagen, dann hat das mit den Herausforderungen der Corona-Situation nichts zu tun.” Als sei das Anwachsen der Arbeitslosigkeit kein Kriterium für die Auswirkungen der Pandemie. Wenn das Hilfsprogramm eine Reaktion auf Corona sein solle, dann müsse, so Kurz, “man es am Einbruch der Wirtschaftsleistung durch die Pandemie festmachen”. Die Wirtschaftsleitung bricht allerdings ebenfalls in Italien, Spanien (und Frankreich) am meisten ein. Was also meint der Kanzler, außer dass er händeringend nach irgendwelchen Argumenten dafür sucht, möglichst wenig Geld herzugeben, um den “Ärmsten der Armen” zu helfen.
Die Finanzhilfen in Österreich kommen, so viel ist jedenfalls bekannt, eher nicht den “Ärmsten der Armen” zu Gute. Finanzminister Blümel verteidigte vorgestern im ORF die Auswirkungen des neuen Konjunkturpakets der Bundesregierung. Nach Recherchen des ORF profitieren von den beschlossenen Konjunkturmaßnahmen in Höhe von 2,6 Milliarden vor allem Wohlhabende. Rund ein Viertel der Maßnahmen kommen vor allem den obersten Einkommen zugute. Dazu zählen Steuersenkungen und sogar Einmalzahlungen der Familienbeihilfe. Während Menschen mit niedrigen Einkommen etwa 364 Millionen Euro Corona-Hilfen erhalten werden, sind es bei den obersten Einkommen ca. 624 Millionen Euro. Gernot Blümel hält dagegen: „Die Menschen die fleißig sind und arbeiten gehen, auch mehr von dem Erarbeiteten haben sollen.“ Im Juni waren in Österreich 463.500 Menschen ohne Arbeit. Offene Stellen gab es nur 63.000. Die in den Augen des Finanzministers offenbar vor allem aus mangelndem Fleiß von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen, werden nun mit einem Almosen von einmalig 450,- € abgespeist.
Und damit man sich auch und gerade in Corona-Zeiten mit solchen Fragen nicht allzu viel beschäftigt, spielen Rechtspopulisten gerne mit Metaphern aus der Sprache der Schädlingsbekämpfung, wenn sie über Menschen reden. Besonders gerne in Österreich. FPÖ-Generalsekretär Michael Schedlitz lobt in einer Tiroler Tageszeitung Parteichef Norbert Hofer für seinen Vergleich „des Islams“ mit dem Corona-Virus („gefährlicher als Corona“) und setzt einen drauf. Schedlitz empfiehlt die FPÖ als „Unkrautbekämpfungsmittel“ gegen „ungezügelte Zuwanderung“ – und fordert den ÖVP-Innenminister zu härterem Vorgehen auf. Die Aufforderung, Mund-Nasenschutz zu tragen, sei, so Schedlitz ganz nebenbei, natürlich nur Angstmache. „Wir können gleich in den Orient auswandern, wenn wir uns wieder verschleiern.“
Bundeskanzler Kurz möchte da demagogisch nicht zurückstehen und versucht sich mit einer anderen rechtspopulistischen Metapher. „Wir erleben immer mehr Einschleppungen aus dem Ausland.“ Und meint damit wohl ebenfalls Menschen, die infiziert sind. Egal wie man es ausdrückt, es sind immer die anderen schuld.
Auch die amerikanischen Rechtspopulisten halten nichts von “Verschleierung”. Die große Wahlkundgebung Donald Trumps in Tulsa, wo er seinen Wahlkampf sinnigerweise zum hundertsten Jahrestag des dortigen Massakers eines „weißen“ Mobs an Afroamerikanern eröffnete, hat zwar deutlich weniger (zumeist ohne Mund-Nasenschutz erschienene) seiner Anhänger mobilisiert, als von ihm erwartet. Aber dennoch genug, um eine rasante Zunahme von Corona Infektionen in der Stadt zu bewirken, wie die Gesundheitsbehörden von Tulsa bekannt gestern bekannt gaben.