Tiroler Grenzen

Europäisches Tagebuch, 11.2.2021: Der Sinneswandel kam überraschend. Und so ganz glaubt man an ihn noch nicht. Noch am Wochenende hörte man aus Innsbruck vor allem Kraftausdrücke und Drohungen gegen Wien. Genauer, gegen das (grüne) Gesundheitsministerium. Und mannigfaltige Versuche, sich irgendwie mit geschönten Zahlen der Anerkennung der Tatsache zu erwehren, dass im Tiroler Bezirk Schwaz und besonders im Zillertal eine südafrikanische und offenbar besonders bösartige Mutation des Corona Virus grassiert, und zwar mit den höchsten Zahlen in Europa.

Der österreichische Kanzler schien sich einmal mehr an seinem Koalitions“partner“ abzuputzen und schwieg vornehm zu den Tiroler Ausritten. Von einem erfolglosen Anruf in Innsbruck war die Rede. Das wars erst mal.

„Dann werdet ihr uns kennenlernen“ richtete Tirols Wirtschaftskammer Präsident Walser jenen bösen Wienern aus, die Quarantänemaßnahmen forderten – und in den österreichischen Fernsehnachrichten ZIB 2 am Montag führte er, sozusagen als Bonus zu den Schimpfkanonaden des Wochenendes, auch noch seine epidemiologische „Expertise“ zu den Ereignissen von Ischgl vor.

Bald ein Jahr ist es her, dass der kleine Ort im Paznaun zum Superspreader des neuen Virus  wurde. Wie es dazu kam, ist inzwischen einigermaßen geklärt. Da wurde vertuscht und gelogen, solange es sich irgendwie ausging. Bis tausende von Corona-Infizierten von Bayern bis Island als Folge des sorglosen Aprés-Ski nachgewiesen wurden. Und dann wurde geschwiegen.
Aber das sei, so Walser doch gar nicht die entscheidende Frage. Man wisse ja noch gar nicht, „woher“ das Virus nach Ischgl eingeschleppt worden sei. Hatte irgendjemand behauptet, die Tiroler hätten das Virus in einer Schneekanone gezüchtet?

Walsers Klage über das Tirol-Bashing klang irgendwie beunruhigend vertraut. So als haben Politiker und Wirtschaftsfunktionäre aus dem Desaster auch ein Jahr später noch nichts anderes gelernt, als dass immer irgendjemand anderer schuld sein muss.

Derweil werden nun wieder Grenzen kontrolliert. Bayern droht mit der Schließung der Grenzen nach Tirol. Österreich wollte da nicht zurückstehen und kontrollierte schon am Montag mit demonstrativer Strenge Einreisende und vor allem Pendler an der Grenze zwischen Lindau und Bregenz, auch wenn die sogenannte „Inzidenz“ in Lindau nur halb so hoch ist, wie im benachbarten Vorarlberg. Aber auch so kann man den Eindruck vermitteln, als komme alles gefährliche grundsätzlich von außen.

Dass dem Tiroler Gastgewerbe und erst recht der Seilbahnwirtschaft im Zeichen der Pandemie eine existentielle Krise droht ist klar. In dieser Situation den Golfurlaub in Südafrika anzutreten, wie es ein Zillertaler Hotelier getan hat, ist da nicht wirklich vertrauensbildend. Nachrichten über illegale Beherbergungen und Partys, Skilehrerkurse mit Clustern von Mutationen und trickreiche Anmeldungen von Zweitwohnsitzen sind es ebenso wenig. Und dann geht der mächtige Obmann des Wirtschaftsbunds und ÖVP-Nationalrat Franz Hörl, das Oberhaupt der legendären „Adlerrunde“ die in Tirol das Sagen hat – selbst von der britischen Mutation infiziert – in Quarantäne, ohne eine Ahnung zu haben, wo er sich das geholt hat. Da soll man sich keine Gedanken darüber machen, ob nicht doch in Tirol noch immer gefährlicher Leichtsinn am Werk ist? Vor allem Selbstmitleid. Man solle, so Landeshauptmann Platter, endlich aufhören mit dem Finger auf Tirol zu zeigen.
Wie es heißt auf Franz Hörls Website? „Tirol geht vor“. Klassischer Populismus hört sich so an. Man geht eben selber immer vor.
Aber heute klingt das Irgendwie missverständlich. Weiter ist da zu lesen: „Wenn Franz Hörl auf den Plan tritt, ist Tempo angesagt. Beizeiten scheint er sich zu verdoppeln, tritt parallel in Erscheinung“ … „Franz ist da. Vor allem wenn’s brennt. (…) Nur so geht Politik, die hilft.“ Und: „Hörl redet Tirol“. Das klingt dann so: Die am Montag ausgesprochene Reisewarnung gegenüber Tirol, sei ein „Rülpser aus Wien“.

Ein größenwahnsinniger Macher spricht da, der den Spagat zwischen „Gastgeber“ und Seilbahnindustrieller, zwischen Mensch und Funktionär verkörpern will und das solange kann, wie der Erfolg ihn trägt. Und der eins nicht kann, was im Moment besonders gebraucht wird. Sich selbst und sein Tun auch einmal in Frage zu stellen.
Irgendjemand hat jetzt endlich auf die Notbremse getreten. Wer ab Freitag aus Tirol ausreist, braucht nun einen aktuellen Corona-Test.

Vielleicht hat der Kanzler seinen Parteifreund Platter noch einmal angerufen. Der Instinkt, wann ihm eine Geschichte auf die Füße zu fallen droht, hat Kurz offenbar noch nicht ganz verlassen. Doch da hat es womöglich schon ein wenig am „Tempo“ gefehlt.

 

Die “Paneuropäische Universität” des Dr. Hokuspokus

Europäisches Tagebuch, 17.1.2021: Der Rücktritt der österreichischen Arbeitsministerin Christine Aschbacher erfolgte nach weniger als einer Woche. Anfang Januar flog auf, dass ihre Diplomarbeit an der Fachhochschule Wiener Neustadt 2006 zu einem großen Teil aus Plagiaten bestand – und dort, wo sie etwas selbst geschrieben hatte, nicht selten aus Nonsens. Auch ihre schon mit Ministerinnenwürden 2020 an der Technischen Universität Bratislava im Fach „Maschinenbau“ eingereichte Dissertation „Entwurf eines Führungsstils für Innovative Unternehmen“ enthält, so stellt der „Plagiatsjäger“ Stefan Weber mit der üblichen Software der Uni Wien fest, über 20 % Abgeschriebenes ohne Nachweis. Und jede Menge Realsatire, die sich von selbst ergibt, wenn man englische Zitate vor Jahren mit dem damals noch ziemlich unbeholfenen „Google-Translate“ übersetzt und seitdem nicht korrigiert hat.

Die Universität in Bratislava und ihre Gutachter, die bislang nicht durch Deutschkenntnisse aufgefallen sind, fühlt sich ganz zu Unrecht am Pranger. Schließlich habe man mit der offiziellen Plagiatssoftware der Slowakischen Hochschulen nur 1,15% Plagiate feststellen können. Diese Software kennt kaum deutschsprachige Quellen. So ist denn der Dr. Bratislava mittlerweile ein geflügeltes Wort.

Frau Aschbacher war sich selbstverständlich keines Verschuldens bewusst, beklagte die „Vorverurteilungen“ und erklärte, sie habe nach „bestem Wissen und Gewissen“ gehandelt. Und dann ging es mit dem Rücktritt doch ganz schnell. „Ihre Familie solle nicht leiden…“ und so weiter. Aber es ist wohl wahrscheinlicher, dass Kanzler Kurz sie aus der Schusslinie nehmen musste, bevor noch unangenehmere Fragen gestellt würden. Zum Beispiel wer eigentlich der Arbeitsministerin den Deal mit der slowakischen Fakultät für „Maschinenbau“ vermittelt hat. Und überhaupt: Fragen danach, wie Österreicherinnen und Österreicher aus Politik und Wirtschaft zu ihren akademischen Titeln kommen, und deren Promotoren zu Ehrungen durch Politik und Wirtschaft. Niemand weiß, wer Frau Aschbacher beraten hat.

Vor wenigen Tagen war im ORF die Stimme eines in solchen Kreisen wohlbekannten Experten zu hören: „Univ.-Prof. Dr.h.c. Dr.“ Peter Linnert, der Ende 2015 von ÖVP-Staatssekretär Harald Mahrer (heute Wirtschaftskammerpräsident) das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse verliehen bekam. Und zwar in seiner Eigenschaft als Rektor der „Goethe Universität Bratislava“.
Die von Linnert gegründete Privatuniversität ist längst Geschichte. Schon einen Tag vor der Ordensverleihung in Wien am 16. Dezember 2015 wurde sie – nach langen öffentlichen Diskussionen über eklatante Missstände – wegen erheblicher „Mängel im Studienprogramm“ von der slowakischen Regierung geschlossen.

Harald Mahrer verleiht Peter Linnert das Ehrenkreuz 1. Klasse, Foto: Willibald Haslinger

Aber das tat der erfolgreichen Tätigkeit des nunmehrigen Ehrenkreuzträgers in Wien keinen Abbruch. Linnert leitet bis heute das 2003 gegründete „Studienzentrum Hohe Warte“ in Wien und die damit verbundene „Sales Manager Akademie“. Das Programm besteht aus der Vermittlung von akademischen Graden an derzeit vier osteuropäischen Privatuniversitäten in Bratislava, Warschau und Belgrad, die mit klangvollen Namen um Kundschaft werben und sich mit “Europa” schmücken.
Für 30.000,- € kann man sich aussuchen, ob man an der „Paneuropäischen Universität Bratislava“, oder an der „European University Belgrad“ promovieren will, in „International Management“, „Ökonomie“ oder „Massenmedien“ zum Beispiel.
Die auf diese Weise erkauften Doktorate mögen in der akademischen Welt nicht zählen. Aber in Wirtschaft und Politik sind sie hilfreich. Die geforderten „wissenschaftlichen Leistungen“, wie die Teilnahme an insgesamt zehn Tagen Seminar, Vorträge in „wissenschaftlichen Tagungen“ und Veröffentlichungen (in der hauseigenen „Zeitschrift“), sind im „Studienzentrum“ Hohe Warte selbst – als gesellige Anlässe – zu absolvieren. Und auch die Promotionsfeiern im Wiener Rathaus machen etwas her. Als der deutschen Sprache grundsätzlich mächtige „Zweitgutachter“ fungieren emeritierte Professoren in Österreich, die sich damit, so Linnert, ein Zubrot verdienen.

Belgrads „European University“ befindet sich im Privatbesitz ihres Rektors, Milija Zečević, der (neben zahlreichen käuflichen Ehrentiteln) auch Präsident der „European Academy of Science“ ist, die an der gleichen Adresse residiert wie Linnerts „Studienzentrum“, der Geweygasse 4 im 19. Wiener Gemeindebezirk. Doch für „akademische Feiern“ mit Partnerorganisationen wie der „Albert Schweitzer International University“ aus Genf (und so schönen Themen wie „Global Business and Management in the Function of Peace“) oder die Ernennung neuer Mitglieder trifft man sich lieber im Hotel Imperial.

Das es solch komplizierter Umwege für die Absolventen des Studienzentrums Hohe Warte bedarf, liegt daran, dass es Linnert trotz seiner Bemühungen um die jüngere Generation von Politiker*innen und Unternehmer*innen bislang nicht gelungen ist, seine Einrichtung in eine „Privatuniversität für Wirtschaft und Ethik“ zu verwandeln. Denn dafür braucht es eine formelle Akkreditierung, und die hat ihm die zuständige Kommission in Österreich schon zum fünften Mal verweigert. Zu Linnerts Leidwesen reden da nicht nur Politiker und Unternehmer mit.

So musste auch seine Tochter Julia 2013 ihre „kommunikationswissenschaftliche“ Dissertation an der Paneuropäischen Universität Bratislava einreichen. Zweitgutachter: Peter Linnert. 2018 wurde auch diese „Dissertation“ von VroniPlag Wiki – manuell – untersucht. Und wie sich zeigte, stellt sie alle Rekorde in den Schatten. Der Text enthält genau 18 Sätze, die nicht abgeschrieben wurden. Ein Plagiatswert von mehr als 98%. Auch Linnerts Sohn Michael, mittlerweile im Imperium der verschiedenen „Sales Management Academies“ der Linnerts beschäftigt, kam auf diesem Weg zu seinem Doktortitel – der einem in Bratislava auch dann nicht aberkannt wird, wenn Plagiate nachgewiesen werden.

Linnert ist keineswegs der einzige Anbieter auf dem Markt. Auch Ghostwriter kann man beschäftigen, oder es mit einer windigen Arbeit an einer „ordentlichen“ österreichischen Hochschule versuchen, wie der steirische ÖVP-Landesrat Christian Buchmann, dessen Dissertation in Graz im Jahr 2000 von zwei Parteifreunden positiv begutachtet wurde, trotz 30% Plagiats. Damals gab es freilich noch keine wirksame Software. 2017 musste Buchmann seinen Doktortitel zwar wieder abgeben, aber das schadete seiner politischen Karriere nicht. Derzeit ist er Präsident des österreichischen Bundesrates.

Linnerts „paneuropäisches“ Titel-Geschäft floriert jedenfalls weiter. Und nur selten wird davon einmal öffentlich geredet. 2014 erwarb z.B. der Steyrer ÖVP-Stadtrat Markus Spöck seinen Doktortitel im Fach „Internationales Management“ über die „Hohe Warte“ an der “European University Belgrad“. Und zur gleichen Zeit erwarb auf diesem Weg auch Christa Kranzl ihre Doktorwürde, nachdem sie an der Hohen Warte schon ihren Master in „Executive Sales Management“ erhalten hatte. Die ehemalige niederösterreichische Landesrätin (zuständig u.a. für Bildung) und kurzzeitige SPÖ-Staatssekretärin (für „Innovation“) unter Kanzler Gusenbauer war 2011 aus der SPÖ ausgeschlossen worden, weil sie in ihrem Heimatort mit einer eigenen Liste gegen die SPÖ angetreten war.
Als Unternehmensberaterin (Spezialgebiet „Förderberatung“) war sie nun im Fortbildungswesen für Unternehmer tätig. 2016 lehrte „Dr. Christa Kranzl“ so zum Beispiel „Regierungspolitik und Parlamentarismus“ an der „Middlesex University/KMU Akademie & Management AG“ in Linz, die offenbar noch weitere illustre Gestalten aus der Grauzone von Scharlatanerie und Business beschäftigte. So lehrte dort auch „Dr.“ Hubert Dollack, Drahtzieher eines anderen europäischen und außereuropäischen Netzwerks, das höchst erfolgreich akademische Titel verkauft.

Ab 2011 nannte Dollack sich Präsident der „University of Northwest-Europe“ in einer ehemaligen Abtei im niederländischen Kerkrade, auch wenn diese „Universität“ formell gar nicht anerkannt war. Schließlich trug sie das „Gütesiegel“ des „Universidad Azteca International Network Systems“, wohinter sich das Vertriebssystem mexikanischer Doktortitel verbirgt. Ihren virtuellen Campus betreibt das „Universidad Azteca European Programme“ in Innsbruck, wo es den umtriebigen Titelverkäufern vor zehn Jahren sogar gelang, eine kurzzeitige Kooperation mit der MedUni Innsbruck einzugehen, bevor diese den Braten roch. Der Dekan der Azteken, ein gewisser „Prof. Dr. Dr. Dr.“ Gerhard Berchtold, ehemaliger Klubdirektor der FPÖ im Innsbrucker Landtag und Wirtschaftskammerfunktionär (Entsorgung, Abfallwirtschaft), vertritt auch die „Universidad Central de Nicaragua“.

Hubert Dollack, promoviert an der TU Ostrava, leitete hingegen auch das inzwischen verblichene „Steinbeis Institute of Operations Management“ in Stuttgart, das „IMC Institut für Management & Consulting“ und das „UNIDI Career College“, eine Nebenstelle der nicht vorhandenen „Universität“ in Kerkrade. Auf den Fluren der ehemaligen Abtei residierten 2015 auch eine obskure „Martin Buber Universität“ (die ebenso vergeblich auf ihre Anerkennung wartete) und eine noch obskurere „European New University“, die Außenstelle der „International Teaching University“ in Tiflis, Georgien. Deren Abschlusszeugnisse wiederum werden vor allem von der „European University“ in Belgrad ausgestellt.

Womit sich so manche Kreise schließen. „Konsul Univ.-Prof. Dr. rer. pol. Dr. habil. Dr. h.c. mult.“ Peter Linnert wird sich wohl bald zur Ruhe setzen. Er blickt, mit seinen 84 Jahren, inzwischen auf ein langes erfolgreiches und manchmal auch weniger erfolgreiches Leben zurück.

Promoviert wurde er tatsächlich 1964 an der Universität Hamburg, und begann seine Laufbahn als Assistent am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre. 1969 wechselte er nach Wien an die Wirtschaftsuniversität. Und dann verliert sich seine „akademische“ Biografie eine Weile im Ungefähren. Erst in den 1990er Jahren klärt sich das Bild wieder und bald sieht man Linnert erneut an der Wirtschaftsuni in Wien, nun als frischgebackenen Ehrendoktor der Universität Vilnius, und als Verantwortlichen für das Seminar Service Management, ein Fortbildungsangebot für Führungskräfte – mit dem er sich 1996 selbständig macht. Die „Sales Manager Akademie“ ist geboren. Und ein teurer, aber bequemer Zugang zum Diplom des „Master of Business Administration“, geliefert von der Universität von Staffordshire in England, das Ganze für 20.440,- €.

Auch als Autor von Büchern für Management und Business zeichnet Linnert regelmäßig mit seinem Namen. Schon 1971 veröffentlichte er seinen „Clausewitz für Manager. Strategie und Taktik der Unternehmensführung“. Es folgten ein Dutzend weiterer Titel, darunter „Alles Event? Erfolg durch Erlebnis-Marketing“, „Größere Markterfolge durch Total Quality Management“ oder „Die Finanzierung der Unternehmungen des Vortrags- und Aufführungswesens“. Sein neuestes Buch, gerade 2019 erschienen, wird auf der Website seines Studienzentrums „besonders empfohlen“: Es heißt kurz und bündig „Wirtschaftskriminalität“.

Warum Linnerts Lebenslauf zwanzig so wenig dokumentierte Jahre enthält, erschließt sich aus einem Bericht der Wochenzeitschrift Der Spiegel aus dem Jahre 1976: „Papiere von St. Pauli“. Damals war das vorerst letzte von Linnerts windigen Geschäften geplatzt, als die Deutsche Bank recht schlampig gefälschte Aktien im Wert von angeblich 2 Millionen DM in Linnerts Depot in Frankfurt fand. Er hatte versucht, die gefälschten Aktien in seinem Depot zu beleihen, um mit diesem Geld sein Firmenimperium zu retten, das vor allem aus Luftnummern bestand. Seine „Vereinigte Zünder- und Kabelwerke AG“ produzierte längst nichts mehr, sondern beschäftigte sich mit Vermögenstransaktionen. In Guatemala plante er den Kauf eines größeren Waldgebietes zur Einrichtung einer „Freihandelszone“. Von der Errichtung eines Marmorwerkes war die Rede und einer Reederei zwecks Transports des Marmors nach Japan. Sein „Marketing Institut Peter Linnert und Co“ knüpfte Netzwerke und vertrieb einen „praxisnahen, aktuellen Beratungsbrief“. Mit seinem Kompagnon Ekkehard Zahn (der auch 50 Jahre später noch an Linnerts „Sales Management Akademien“ beteiligt sein sollte) veranstaltete er exklusive Seminare für Führungskräfte oder solche, die es werden wollten. Doch dann kaufte er auch noch Deutschlands zweitgrößtes Möbelversandhaus, die Steinheimer Möbel-Becker GmbH, die im Mai 1976 Konkurs anmelden musste. Auf der Suche nach Kapital ließ Linnert seine windigen Zünder- und Kabelwerke neue Aktien auflegen, die schon bald nicht mehr das Papier wert waren, auf dem sie gedruckt wurden. Als auch noch die gefälschten Aktien im Frankfurter Depot aufflogen, wurde Linnert in seiner Hamburger Villa an der Elbchaussee 359 verhaftet.
Er hätte die Aktien in Hamburg-St. Pauli gekauft, beteuerte er. Doch da glaubte man ihm in Deutschland jedenfalls wirklich nichts mehr. In der Szene hatte Peter Linnert damals längst seinen Spitznamen erhalten: Dr. Hokuspokus. Das trifft es noch besser als Dr. Bratislava.

https://plagiatsgutachten.com/blog/warum-erhaelt-ein-promotionsberater-das-oesterreichische-ehrenkreuz-fuer-wissenschaft-und-kunst-i-klasse/

https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41119562.html

https://causaschavan.wordpress.com/2016/03/11/huetchenspiele-teil-2-allgemeines-guatemala/

https://causaschavan.wordpress.com/2016/04/04/huetchenspiele-teil-3-sturm-und-drang-in-bratislava/

 

 

„full of fish, by the way“

Europäisches Tagebuch, 31.12.2020: Nun ist er also vollzogen, der Brexit. 1200 Seiten „Deal“, ein paar hundert Seiten davon hat Boris Johnson schon zu Weihnachten bei seiner dreieinhalb Minuten langen Weihnachtsansprache auf Twitter in die Kamera gehalten und seinen Landsleuten versprochen, dass viel Fisch darin enthalten sei. Seine launige Ansprache über Hoffnung, Truthahn, Pudding, Rosenkohl und Brandybutter wird in die Geschichte eingehen. Als was, wird dieselbe noch erweisen. Literarisch jedenfalls als Parodie.
Gute Stimmung hat sie auf der Insel verbreitet. Den Europäischen Freunden auf dem Festland, die am Weihnachtsabend die Verhandlungen für abgeschlossen erklärten, war die gute Laune etwas weniger glaubhaft abzunehmen. Da ist kein Triumph im Spiel, allenfalls die Erleichterung, eine überflüssige Quälerei sei nun endlich an ihrem wenigstens halbwegs erträglichen Ende angekommen. Heute morgen durfte der britische Botschafter in Wien im Radio ebenfalls einen Versuch unternehmen, gute Laune zu stiften. Das fiel ihm deutlich schwerer, als seinem Premierminister. Mit dem Erasmus-Programm, dass hunderttausende von jungen Menschen vom Festland und von den Inseln einander näher gebracht hat, ist jedenfalls Schluss. Das konnte auch Leigh Turner nicht in Brandybutter verwandeln.

Auf die Frage, ob der Brexit-Vertrag und damit der Ausstieg Großbritanniens aus der EU denn auch irgendwelche Vorteile bringen würde, fiel ihm lediglich ein, stolz zu betonen, dass das nun geschlossene Handelsabkommen besser sei … als ein No-Deal Brexit. Darauf allerdings wären wir auch gekommen.

Was bleibt ist: Fisch. Die Fangquoten der europäischen Fischer in britischen Gewässern sollen nun im Laufe der nächsten Jahre um 25% gesenkt werden. Das wird die EU nicht ruinieren. Und den britischen Fischern auch nicht viel helfen. Wenn sie irgendwann einmal aus ihrem Rausch aufwachen. Für das Geld, das der Brexit gekostet hat – und noch kosten wird, z.B. um Zollkontrollen durchzuführen, für Zölle, die nicht erhoben werden sollen – hätte man den britischen Fischern wohl besser helfen können. Aber der Traum, Großbritannien wieder zu alter Größe einer globalen Führungsmacht zurückzuführen, war stärker. Ein Traum der freilich zerrissen ist zwischen zwei Ansprüchen, der Vorstellung davon selbst als Zentrum des Commonwealth ein übernationales Imperium darzustellen, und dem alten kolonialen Gefühl, eine überlegene Kultur zu repräsentieren.
Doch “the proof of the pudding comes with the eating”. Ob von diesen Träumen außer mehr Fisch von britischen Fischern viel übrig bleiben wird, wird die Zukunft weisen. Denn kaufen sollen diesen Fisch: die Europäer auf dem Festland.

Ischgl 2.0 ?

Europäisches Tagebuch, 29.11.2020: Österreich hat es geschafft wieder an die Spitze zu kommen, diesmal nicht als Musterschüler der Anti-Corona Maßnahmen, sondern als Corona-Hotspot zusammen mit Frankreich und Italien. Die Zahl der Corona-Opfer in allen drei Ländern übersteigt inzwischen in Relation die Rekordzahlen der Toten in den USA.

Worüber diskutiert man in Italien und Frankreich, in Belgien und in Deutschland? Wie man verhindern kann, dass die Weihnachtstage und der Skitourismus die zögerlichen Erfolge des zweiten lockdowns wieder zunichte machen. Schließlich war Österreich ja schon mal Spitze, in der Produktion von Ansteckungen und in der Unverschämtheit, mit der man sie erst vertuschen, dann herunterspielen und dann vergessen wollte. Bis heute hat sich Österreich, haben sich Ischgl und Tirol, haben sich die Verantwortlichen für das Desaster bei niemand entschuldigt, obwohl der kleine Ort im Paznauntal in der ersten Corona-Welle des Jahres der infektiöseste Platz Europas gewesen ist. Und dies aus Gründen an denen sich bis auf den heutigen Tag nichts und rein gar nichts geändert hat: die Kumpelei von ein paar „richtigen Mannsbildern“ im Seilbahngeschäft und in der Politik, die noch nicht begriffen haben, dass wirtschaftlicher Erfolg auch mit wachsender Verantwortung einhergeht. Und vermutlich noch mit ein paar anderen Dingen.

So machen sich jetzt eben die Bayern und die Italiener und die Franzosen Gedanken darüber, wie man die Skifahrerei und alles was damit zusammen hängt in diesem Winter einbremsen und verschieben kann. Und sie erinnern sich noch gut daran, dass Österreich schon im Sommer zu den ersten Staaten gehört hat, die wieder mit Reisewarnungen und Quarantänedrohungen manche Grenzen dichter machten. Wie sagte Kanzler Kurz am 16. August so schön: „Das Virus kommt mit dem Auto nach Österreich.“

Worüber wird in Österreich diskutiert? Ob man die Skigebiete möglichst schon nächste Woche wieder aufsperren darf. Und Finanzminister Blümel weiß auch schon, wer bezahlen soll, wenn die Touristen aus Deutschland und Italien, aus Frankreich und der Schweiz einfach nicht kommen. Die EU natürlich. Warum „die EU“ das tun soll, hat er noch nicht verraten. Weder kann die EU in Österreich Skigebiete schließen, noch die Deutschen dazu zwingen, in Ischgl Ski zu fahren. Aber zahlen soll sie.

Die Lümmel von der ersten Bank

Europäisches Tagebuch, 16.9.2020: Meine ersten Kinoerlebnisse waren „Hurra, hurra die Schule brennt“ und „Die Lümmel von der ersten Bank“. Verzogene Bengel aus wohlhabenden Familien, die man trotzdem irgendwie mochte. Wirkliche Rebellen waren das allerdings nicht. Wenn die Streiche nichts halfen, dann musste Pepe Nietnagels Vater halt den Direktor der Schule bestechen.
Nicht lustig hingegen ist das, was die Schulbuben in der österreichischen Regierung treiben. Nicht einmal einen halbwegs plausiblen Antrag an die EU-Kommission können sie schicken, wenn sie von den möglichen Ausnahmeregelungen in Sachen Wettbewerbsgerechtigkeit in der EU profitieren wollen. Eigentlich wichtig genug, um sich ein bissel Mühe zu geben.
Schon vor einigen Tagen hat Finanzminister Gernot Blümel mal wieder auf die EU geschimpft, weil sie die Verlängerung und Ausweitung der großzügigen Wirtschaftshilfen an notleidende Betriebe (Fixkostenzuschüsse) blockieren würden. Nun traf man sich gestern in Wien, interessanter Weise vor eingeladenen Pressevertretern, um die Unstimmigkeiten mit dem EU-Vertreter in Wien, Martin Selmayr, zu besprechen. Der Austria Presseagentur und dem Standard verdanken wir nähere Einblicke in eine, aus österreichischer Sicht wohl ziemlich missglückte Übung in Message Control. Martin Selmayr nämlich war sichtlich not amused, auch darum, weil er statt zunächst einmal die Einwände der EU erläutern zu dürfen, als letzter drankam. Die Lümmel von der ersten Bank mussten erst einmal der Presse ihre eigene Interpretation der finsteren EU-Machenschaften zum Besten geben. Martin Selmayr, selbst ein durchaus konservativer Politiker, musste sichtlich an sich halten, damit ihm nicht der Kragen platzte. Und wies die Schulbuben darauf hin, dass sie einfach nur einen rechtlich sauberen Antrag stellen müssten. 

Und das im Übrigen eigentlich heute, also gestern, der letzte Tag dafür sei. Zeit genug die Hausaufgaben zu machen, sei seit Anfang August gewesen, als die Bedenken der EU-Kommission dem österreichischen Finanzminister übermittelt wurden. „Wenn heute die Notifizierung so erfolgt, wie von Frau Vestager (der Wirtschaftskommissarin) vergangenen Freitag angeregt, dann ist das morgen erledigt“, sagte Selmayr. Ein entsprechender Antrag sei, „wenn sich drei intelligente Leute zusammensetzen, innerhalb einer halben Stunde“ gemacht. Er wünsche sich, dass Finanzministerium und Kommission, „das heute Nachmittag noch hinbekommen“. Und bietet wirksame Nachhilfe an: Es gebe drei Lösungsmöglichkeiten, auch „wenn es am letzten Tag recht knapp“ sei. Dann ließ es sich Selmayer doch nicht nehmen, den ursprünglichen Antrag Blümels im Detail zu zerpflücken und öffentlich vorzuführen, was für eine unprofessionelle Schluderei da abgeliefert worden sei. Was wiederum Gernot Blümel und Tourismusministerin Elisabeth Köstinger nicht amüsierte. 

Selmayr erklärte ihnen coram publico wie man einen Antrag schreibt. Was in Zeiten des Lockdowns möglich war, nämlich alles auf eine Naturkatastrophe zu schieben und so zu tun, als gäbe es überhaupt keine Umsätze, das entspräche heute ja nicht mehr den Gegebenheiten. Die Grundlage für den Antrag müsse nun der Hinweis auf die schwere Wirtschaftskrise sein, die die Pandemie ausgelöst habe: „Dann kann die Kommission sofort genehmigen. Es geht darum: Können wir rechtlich zuverlässig vorübergehend Beihilfen genehmigen?“ Es sei schon besser, wenn man den Antrag gleich richtig formuliert, statt hinterher nachzubessern. 

Der ertappte Blümel wurde patzig. „Ich bitte Sie, hören Sie auf mit diesen Paragrafen; ich weiß schon, dass man auf Rechtliches achten muss“, so Blümel. „Es geht um österreichisches, nicht europäisches Steuergeld, das eingesetzt werden soll.“ 

Martin Selmayr bewies weiterhin seine Engelsgeduld und gab noch einmal den Rat, doch einfach zusammenzuarbeiten, statt stur an einem nicht genehmigungsfähigen Antrag festzuhalten. Und er gab auch den anwesenden Unternehmensvertretern recht, die ihr Leid klagten, und wiederholte ein ums andere mal, dass ihnen Hilfe zusteht, auch in der geplanten Höhe. Es müssten nur, ja auch die Schulbuben in Wien müssten halt einfach nur „ordentlich“ arbeiten, so wie jeder andere auch. 

Gernot Blümel zeigte sich offenkundig desinteressiert daran, dass gemeinsame und rechtswirksame Regeln in der EU auch für Österreich gelten, und zwar auch dann, wenn es um „österreichisches Steuergeld“ geht. Genau dafür sind diese gemeinsamen Regeln, von denen Österreich nicht zuletzt auf den ost- und mitteleuropäischen Märkten bis jetzt besonders profitiert hat, nämlich eigentlich da. 

Oder ist diese Lümmelei Kalkül, die Lust mit dem Feuer zu spielen um weiterhin EU-feindliche Stimmung anzufachen. Und ist es nicht besser die Probleme der österreichischen Regierung und ihrer Behörden mit den eh schon laufenden Förderprogrammen in der Krise kurzerhand Brüssel umzuhängen? Schließlich ist Wahlkampf in Wien.
Und wenn alles nichts hilft, dann kann ja der Papa den Direktor bestechen…

Freunderldienste leicht gemacht

Europäisches Tagebuch, 24.9.2020: Finanzminister Blümel lässt es also drauf ankommen. Der österreichische Antrag wird nicht korrigiert. Der Wiener Wahlkampf ist ohnehin wichtiger als die Notstandshilfen für die leidende Wirtschaft. Und da es mit deren Verteilung eh nicht sehr rund läuft, ist es gut einen Sündenbock dafür zu haben: Brüssel.
Dabei hätte die EU-Kommission allen Grund, Österreich sehr viel deutlicher die Rute ins Fenster zu stellen, als sie es tut. Im Moment blühen nämlich Konstruktionen, die Korruption – oder zumindest Freunderldienste – geradezu planmäßig fördern.
Statt die Auszahlung von 15 Milliarden Hilfsgeldern für Unternehmen über das Finanzamt zu regeln, und damit unter öffentlicher Kontrolle durch Parlament und Rechnungshof, hat der Bund eine „Covid-19 Finanzierungsagentur“ als Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet. Die Cofag soll der notleidenden Wirtschaft mit Fixkostenzuschüssen und Überbrückungsgarantien zur Seite stehen und wird vom Bund entsprechend finanziell aufgestellt. „Gemäß § 6a Abs. 2 ABBAG-Gesetz stattet der Bund die COFAG so aus, dass diese in der Lage ist, kapital- und liquiditätsstützende Maßnahmen, die ihr gemäß § 2 Abs. 2 Z 7 ABBAG-Gesetz übertragen wurden, bis zu einem Höchstbetrag von 15 Milliarden Euro zu erbringen und ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen.“ Der Vorteil dieser Konstruktion liegt auf der Hand: eine GesmbH ist schließlich dem Parlament nicht auskunftspflichtig.

Florian Scheuba meint dazu bissig im Standard: „Nicht nur Abgeordnete der Opposition können somit nicht mehr mit lästigen Fragen wie “Wer bekommt wie viel Steuergeld und warum?” nerven. Auch Antragsteller können sich die Bitte um Begründung, warum ihr Hilfsantrag abgelehnt wird, sparen, denn Cofag-Beiratsmitglieder sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Bleibt als letzte Hoffnung der Rechnungshof? Nein, denn auch dessen Ansinnen nach begleitender Kontrolle kann die Agentur mit einem herzhaften “Cofag yourself” abschmettern. Hier wird also gerade ein blickdichter Darkroom für künftige Mauscheleien geschaffen. Wie finster der wird, lassen die jüngsten Vorgänge rund um einen 800.000-Euro-Vertrag der Cofag mit einer zunächst geheim gehaltenen PR-Agentur erahnen. “Das Geld fließt nicht in Eigen-PR, sondern etwa in die Betreuung der Homepage oder die Beantwortung von Medienfragen”, meint Cofag-Geschäftsführer Bernhard Perner“.

Mal schauen, wieviele Medienanfragen es – angesichts der bekannt kritischen Presselandschaft in Österreich – so geben wird. 

Das Parlament probt den Aufstand

Europäisches Tagebuch, 7.9.2020: Auf die EU kommt ein ernster „Machtkampf“ zu. Das Europäische Parlament, also das einzige europäische Organ, das über eine europäisch-demokratische Legitimation verfügt, will sich dem Diktat der Regierungschefs nicht beugen. Das vollmundig verkündete Konjunkturpaket von 750 Milliarden Euro zur Eindämmung der Folgen der Corona-Pandemie, dass die EU-Kommission im Juli ausverhandelt hat, stand von Beginn an unter einem schlechten Stern: die Einigung der Kommissionsmehrheit mit den knausrigen vier, dann fünf EU-Staaten um Österreich und die Niederlanden wurde mit massiven Kürzungen im EU-Haushalt an anderer Stelle erkauft. Damit wollen sich die EU-Parlamentarier vieler Fraktionen keineswegs abfinden. So soll ausgerechnet das Programm „EU4Health“, das den Schutz vor grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren schützen und bezahlbare Medikamente besser verfügbar machen soll, von 9,4 Milliarden auf 1,7 Milliarden Euro gekürzt werden. Gemeinsame Programme für Forschung, Bildung, Klimaschutz und Digitalisierung sollen ebenfalls gekürzt werden. Und damit der Spielraum für grenzüberschreitende Zusammenarbeit eingeschränkt statt ausgeweitet werden. Europäisch gesinnte Abgeordnete der Grünen, der Sozialdemokraten, der Liberalen aber auch der konservativen Volkspartei aus verschiedenen Ländern sind durchaus bereit, vom Vetorecht des Parlaments Gebrauch zu machen. Der Grüne Abgeordnete Rasmus Andresen bringt die Möglichkeit ins Spiel, nur das Hilfspaket, nicht aber den Haushalt in dieser Form zu verabschieden, um den Druck nun in die andere Richtung zu erhöhen. Dazu gehört auch, ernsthaftere Sanktionen gegen solche Mitgliedsländer in den Budgetvollzug zu schreiben, die gegen rechtsstaatliche Standards verstoßen. Die EU-Parlamentarier verlangen außerdem, endlich ernsthaft die Eigeneinnahmen der EU zu erhöhen, durch eine wirksame Plastiksteuer, durch Digitalsteuern oder die Besteuerung von grenzüberschreitenden Gewinnen der Technologie-Riesen.

Dem EU-Parlament und der Kommission stehen noch schwierige Verhandlungen bevor. Das Bedürfnis des EU-Parlaments, von den „sparsamen“ Regierungschefs wird herumschubsen lassen, ist enden wollend. Selbst die „türkisen“ Abgeordneten aus Österreich haben in der Vergangenheit nicht gerade große Begeisterung über die Europa-feindliche Linie der österreichischen Regierung gezeigt. Aber man wird noch sehen ob den Worten z.B. eines Othmar Karas nun auch Taten folgen werden.

“Friedensabkommen”?

Europäisches Tagebuch, 15.9.2020: Israels Premier Netanjahu und der Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate Sheikh Abdullah bin Zayed Al Nahyan sowie der Außenminister von Bahrain Dr. Abdullatif bin Rashid Al-Zayan unterzeichneten heute Nachmittag in Washington im Beisein von Donald Trump einen sogenannten „Friedensvertrag“. Mund-Nasen-Schutz wird dabei nicht getragen, mit solchen Dingen möchte man sich im Weißen Haus nach wie vor nicht abgeben.

Der Unterzeichnung vorausgegangen sind noch bis in die letzten Stunden Kabbalen zwischen den israelischen Regierungsparteien um die Frage, wer den Vertrag überhaupt unterzeichnen darf. Der unter Anklage stehende Premier Netanjahu benötigte dazu eine Erlaubnis des Außenministers der rivalisierenden Partei Kahol Lavan

Der Wortlaut des „Friedensabkommens“ – zwischen drei Staaten, die sich gar nicht im Krieg miteinander befinden – bleibt weiterhin ein Rätsel, denn bislang werden nur Gerüchte über dessen Inhalt verbreitet. Klar ist jedenfalls, dass der Vertrag offenbar den Weg frei macht für eine Reihe von größeren Waffendeals, darunter die Lieferung von amerikanischen F-35 Kampfjets an die VAE, die deren strategische Rolle am Golf deutlich aufwerten. Angeblich würde der Vertrag auch den Weg zu einer „Zwei-Staatenlösung“ offenhalten. Was die Trump-Administration allerdings unter einer solchen „Zwei-Staatenlösung“ versteht, haben Israelis und Palästinenser, wie auch die erstaunte Weltöffentlichkeit, letztes Jahr schon erfahren: ein Flickenteppich von Bantustans unter israelischer Kontrolle. Also ein erster Klasse Begräbnis. Dass die arabischen Monarchen am Golf sich in Wahrheit nicht einmal mehr rhetorisch um irgendwelche „Friedenslösungen“ oder die Interessen der Palästinenser scheren, ist im Grunde keine neue Erkenntnis. 
Die Annexion großer Teile des besetzten Westjordanlands, vor allem entlang des Jordans, und damit die endgültig-endgültige Absage an irgendeinen „Palästinenserstaat“ wurde freilich nicht nur für die bessere Optik einstweilen verschoben. Diese Verschiebung entspricht durchaus den gegenwärtigen israelischen Interessen daran, den sogenannten „Status-Quo“ nicht allzu rasch in die Richtung einer gewaltsamen „Einstaaten-Lösung“ – ohne Ausgleich mit der arabischen Bevölkerung und ohne deren Gleichberechtigung – zu verschieben. Denn auf diesem Weg lauern bekanntlich jede Menge Probleme. Auch wenn Netanjahu diesen Schritt seinen rechtsradikalen Partnern immer wieder versprechen muss, um sich deren wahlentscheidende Unterstützung zu versichern. 

Hinter dem neuen Pakt stehen nicht zuletzt gemeinsame Sicherheits-Interessen, worunter nicht zuletzt der Machterhalt der absolutistischen Herrschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain zu verstehen ist. Hinter den Kulissen ist diese Zusammenarbeit zwischen Israelis, Amerikanern, manchen Golfstaaten und auch einigen Palästinensern wie dem ehemaligen „Sicherheitschef“ der Fatah Mohammed Dahlan schon seit Jahren im Gange, und längst auch kein Geheimnis mehr.
Benjamin Netanjahu hingegen sieht in der absoluten Monarchie der Emirate eine „fortschrittliche Demokratie“. Welche Rückschlüsse das auf sein eigenes Verständnis von Israel als Demokratie zulässt ist ebenfalls kein Geheimnis mehr. 
Zu den wenigen wirklichen Überraschungen gehört da eher, wie sehr sich manche von diesem Coup blenden lassen, mit dem sowohl Netanjahu wie Trump von den katastrophalen Folgen ihrer Politik für die eigene Bevölkerung ablenken wollen. Israel ist nun ab Freitag wieder im Lockdown. Aus dem Musterknaben der Pandemiebekämpfung ist der Krisenprimus geworden. Die USA sollte auch längst wieder im Lockdown sein, täglich sterben immer noch bis zu 1000 Menschen im reichsten, „größten“ Land der Welt.
Aber europäische Zeitungen wie die NZZ feiern das Abkommen zwischen Israel und den VAE unverdrossen als historischen Schritt zum „Frieden“. Immerhin, der israelische Fußballclub Beitar, traditionell mit den rechtspopulistischen Parteien verbunden und stolz darauf als einziger israelischer Profi-Club noch nie einen arabischen Spieler aufgestellt zu haben, verhandelt nun mit neuen Investoren: einer Gruppe von Scheichs aus den Arabischen Emiraten. Auch jüdische Rechtsradikale wissen: „denn nur der Scheich ist wirklich reich“.   

Brexit 2.0

Europäisches Tagebuch, 14.9.2020: Das Britische Unterhaus beschließt die von Premier Boris Johnson beantragte einseitige Aufkündigung des Brexit-Vertrags im Zuge des sogenannten „Binnenmarktgesetztes“. Dass damit sowohl britische Gesetze als auch internationales Recht gebrochen werden, scheint nicht nur der Brexit-Regierung sondern auch der Mehrheit des Parlaments egal zu sein. Hauptargument ist der in der Tat prekäre Status, den Nordirland in dem neuen Regelwerk erhält, das Johnson als großen Deal nicht einmal einem Jahr durchs Parlament peitschte. In einer Zollunion mit Irland und der EU – und einer Zollgrenze zum Rest des britischen Königreiches. Jedenfalls dann, wenn es mit den Verhandlungen eines umfassenden Freihandelsabkommens zwischen Großbritannien und der EU hapert. Seine Vorgänger John Major und Tony Blair sind nun „entsetzt“, aber das schert die Austritts-trunkene Mehrheit ohnehin nicht. 
Einmal mehr zeigt sich, welchen Preis die Brexiteers offenbar für ihren nationalistischen Aufstand gegen die europäische Einigung zu zahlen bereit sind. Der mühsam erreichte, gleichwohl prekäre Friedenszustand in Nordirland droht nun ganz bewusst geopfert zu werden. Dass Johnson gerne mit dem Feuer spielt ist allen bekannt. Aber die meisten seiner Torys folgen ihm nun wie Lemminge. Es braucht nur ein paar absurde Verschwörungstheorien wie sie unter rechtspopulistischen Führern immer beliebter werden: die EU plane eine „Lebensmittelblockade“ zwischen Nordirland und dem restlichen Königreich. 
Dabei überschätzen die Brexiteers Großbritanniens Möglichkeiten, sich außerhalb der EU unter dem Protektorat der USA zu einer internationalen Wirtschafts- und Handelsmacht aufzuspielen auf groteske Weise. Das wird sich rächen, wenn es längst zu spät ist. So wie es aussieht, wird sich Großbritannien in den nächsten Jahren weniger mit seiner großartigen, in Wirklichkeit ziemlich maroden Ökonomie beschäftigen, als mit den Zentrifugalkräften, die der Brexit freisetzt, von Nordirland bis Schottland, und schließlich auch in London. Auf die vermutlich die Antwort nur mehr nationalistischer Furor sein wird. Zu den Hintergründen der ökonomischen Perspektiven siehe auch diesen interessanten Beitrag von Paul Mason auf IPG: https://www.ipg-journal.de/regionen/europa/artikel/detail/im-groessenwahn-4634/?utm_campaign=de_40_20200911&utm_medium=email&utm_source=newsletter

Idee Europa

Ausstellungsinstallation “Idee Europa”. Foto: Dietmar Walser

Schon seit dem 18. Jahrhundert gab es in Anlehnung an das Modell der Vereinigten Staaten von Amerika die Vorstellung von den „Vereinigten Staaten von Europa“. Sie ist bis heute nicht realisiert. Walter Rathenau (1867–1922) war einer jener, die sie vor Augen hatten.

Der Sohn des bekannten Gründers der AEG – selbst prominenter Unternehmer – war während des Ersten Weltkriegs für die Rohstoffversorgung des deutschen Reiches zuständig. Er forderte auch den Einsatz belgischer Zwangsarbeiter zur Kompensierung des kriegsbedingten Mangels an Arbeitskräften in Deutschland.

Bereits vor dem Krieg hatte Rathenau für die Errichtung eines mitteleuropäischen Zollvereins plädiert, in dessen Zentrum er eine deutsch-österreichische Wirtschaftsgemeinschaft sah, deren Anziehungskraft sich die westeuropäischen Länder auf Dauer nicht verschließen könnten. Nach 1918 bemühte er sich in verschiedenen politischen Funktionen um eine Normalisierung des Verhältnisses zwischen Deutschland und den alliierten Siegermächten sowie um einen Ausgleich mit Sowjetrussland. 1922 wurde in „Besinnung auf christliche, abendländische Werte“ die Paneuropa-Bewegung begründet. Ihr erster Großspender war der deutsch-jüdische Bankier Max Warburg. Sie blieb bis heute weitgehend wirkungslos. Rathenaus Idee einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hingegen wurde 1957 Wirklichkeit. Aus ihr erwuchs 1992 schließlich die Europäische Union.

^ Walther Rathenau, vermutlich Berlin, ca. 1920, © Jüdisches Museum Berlin

< Walter Rathenau, Gesammelte Schriften Bd. 1, 1918, Ausschnitt, © Günter Kassegger

> Gedenkstein für die Mörder Rathenaus in Saaleck, 2012, © Torsten Biel

Rathenau hat weder die Europäische Einigung noch den Zweiten Weltkrieg erlebt. Er wurde von der völkischen Rechten der Weimarer Republik als „Erfüllungspolitiker“ bezeichnet, sein Wirken als Minister als Beleg für die „Macht des internationalen Judentums“ interpretiert, seine Verhandlungen mit Russland als „jüdischer Bolschewismus“ diffamiert. Der Hass der extremen Rechten auf alles, wofür Rathenau stand, entlud sich nicht nur im Skandieren der Parole „Knallt ab den Walter Rathenau, die gottverdammte Judensau!“ Am 24. Juni 1922 wurde er von Mitgliedern der rechtsterroristischen „Organisation Consul“ tatsächlich ermordet. 

Die Täter Erwin Kern und Hermann Fischer kamen bei der Festnahme in Saaleck in Sachsen-Anhalt um und wurden auf dem dortigen Friedhof verscharrt. Hitler ließ den „Helden“ ein Denkmal errichten, dessen Inschrift in DDR-Zeiten entfernt wurde. Nach der Wiedervereinigung wurde das Grab zu einer Wallfahrtsstätte für Neonazis. Das Militär transportierte den Stein daraufhin ab und die Kirchengemeinde schloss den Grabplatz. 2012, zum 90. Todestag der Mörder, wurde dort von Unbekannten ein Findling deponiert, der – in runenähnlicher Schrift – die Namen der beiden trägt.

Michael Miller (Wien) über antisemitische Schuldzuweisungen nach dem 1. Weltkrieg und die Paneuropa-Bewegung:

Rodolfo Brunner

Büste Rodolfo Brunner, von Oscar Brunner. Jüdisches Museum Hohenems, Nachlass Carlo Alberto Brunner

Die zweite Generation der Hohenemser Einwanderer in Triest brachte die Brunner-Familie zu ihrem sozialen und wirtschaftlichen Zenit. Rodolfo Brunner (1859-1956), ältester Sohn von Carlo Brunner und Caroline, geb. Rosenthal, hielt einerseits bedeutende Anteile an den Industrieunternehmen seiner Familie (u.a. Chemie, Pharmazie, Minen und Reedereien) und Leitungsfunktionen in Unternehmen, wie der Generali-Versicherung, an der die Brunner ebenfalls Anteile besaßen. Andererseits spezialisierte er sich auf die Modernisierung und Optimierung der Landwirtschaft in Venetien und dem Friaul, nicht zuletzt im Isonzo-Delta. Politisch sympathisierte er mit der liberalnationalen Partei Triests, die eine stärkere Orientierung der Stadt nach Italien forderte, suchte aber stets den Ausgleich mit den habsburgisch-österreichischen Interessen. Wie der Großteil der Wirtschaftselite Triests, aber auch viele Juden der Stadt, schloss sich Rodolfo Brunner schon früh den italienischen Faschisten an. Als Wirtschaftsmagnat der Stadt kam er vermutlich öfter in Kontakt mit den Spitzen ihrer Politik. Der Grund für das Zusammentreffen mit Mussolini auf dem Foto ist allerdings nicht bekannt, es könnte sich jedoch um die Verleihung des „Goldenen Stern für landwirtschaftliche Verdienste“ handeln, der Rodolfo 1937 zuerkannt wurde.
Sein Großneffe Oscar Brunner (1900 – 1982) war Architekt und Bildhauer, jedoch finden sich nur wenige seiner Werke in öffentlichen Sammlungen.

Rodolfo Brunner und Benito Mussolini, vermutlich 1937. Fotoalbum der Familie mit Szenen aus dem Leben auf den Landgütern im Isonzodelta. Jüdisches Museum Hohenems, Nachlass Carlo Alberto Brunner
Carlo Alberto Brunner, „Il Fondo del Ghetto” (Am Grunde des Ghettos): über Rodolfo Brunner und das Abenteuer der Industrialisierung
Carlo Alberto Brunner, „Il Fonds del Ghetto” (Am Grunde des Ghettos): Über Rodolfo Brunner und den 1. Weltkrieg

Die Waffen nieder!

Ausstellungsinstallation Die Waffen nieder! Foto: Dietmar Walser

Seit 1901 wird der Friedensnobelpreis an diejenigen vergeben, die „am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt“ und damit „im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht“ haben. 1911 wurde der Preis an zwei Männer vergeben, die beide aus jüdischen Familien stammten: an den holländischen Juristen Tobias Asser (1838–1913) für die Einrichtung des ständigen Schiedshofes in Den Haag und an den österreichischen Buchhändler und Publizisten Alfred Hermann Fried (1864–1921), der – gemeinsam mit Bertha von Suttner – die Zeitschrift „Die Waffen nieder! Monatsschrift zur Förderung der Friedensbewegung“ ins Leben gerufen hatte. Der glühende Pazifist Fried glaubte an die Möglichkeit der Überwindung des Krieges. Er sah in Krieg ein strukturelles „Symptom zwischenstaatlicher Anarchie“, dem mit „zwischenstaatlicher Organisation“, das hieß mit der Einrichtung des Völkerbundes, zu begegnen sei. Dieser sollte in Konfliktfällen den Frieden sichern.

^ Alfred Hermann Fried, o. J., © ÖNB-Bildarchiv

< Diplom über die Verleihung des Friedensnobelpreises an Alfred Hermann Fried, Stockholm 1911, © ÖNB

> Granatwerfer, 120 mm, Hirtenberger Defence Systems, Eurosatory (Land and Airland Defence & Security Exhibition), Paris 2018, © armyrecognition.com

Nach zwei Weltkriegen erfuhr die pazifistische Bewegung einen deutlichen Aufschwung. Immer wieder kam es zu Appellen für eine vollständige Abrüstung. Doch die Rüstungsindustrie ist überall auf der Welt ein wichtiger Wirtschaftszweig. In Österreich gehörte neben den Steyr-Werken die Hirtenberger Munitionsfabrik zu den bekanntesten Rüstungsbetrieben. Lange Zeit wurde Hirtenberger von Fritz Mandl (1900–1977) geleitet. Schon früh fand er über die Schweiz Wege, auch unerlaubt Waffen auszuführen. Ideologisch stand er faschistischen Systemen der Zeit nahe. 1933 versuchte er, von seiner Firma modernisierte Beutewaffen aus dem Ersten Weltkrieg nach Italien, Ungarn und an die Heimwehr zu liefern, was einen internationalen Skandal auslöste. Seine Freundschaft mit Nazis schützte ihn nach dem Anschluss allerdings nicht davor, nach den Nürnberger Gesetzen als Jude definiert zu werden; er emigrierte nach Argentinien und beriet Diktator Perón. Nach seiner Rückkehr 1955 sicherte Mandl seinem restituierten Unternehmen Großaufträge des Bundesheers. 1999 startete Hirtenberger Defense Systems sein Granatwerfer-Programm. Waffenexport in kriegführende Staaten und solche, in denen Waffen menschenrechtswidrig eingesetzt werden, ist gesetzlich verboten. Doch taucht immer wieder österreichisches Kriegsmaterial, auch solches von Hirtenberger, in kriegführenden Ländern wie beispielsweise Afghanistan auf.

Michael Miller (Wien) über den Pazifismus der Paneuropa-Union:

Moritz Julius Bonn

Moritz Julius Bonn: The Crisis of European Democracy. New Haven 1925 / Die Auflösung des modernen Staates. Berlin 1921. Jüdisches Museum Hohenems

Moritz Julius Bonn wurde am 16. Juni 1873 in Frankfurt am Main geboren, als Sohn des Bankiers Julius Philipp Bonn und Elise Brunner aus Hohenems. Nach Studien in Heidelberg, München, Wien, Freiburg und London, sowie Forschungsaufenthalten in Irland und Südafrika begann seine erfolgreiche Laufbahn als Nationalökonom. In Italien lernte er die Engländerin Theresa Cubitt kennen, die er 1905 in London heiratete, im gleichen Jahr, in dem er sich über die englische Kolonialherrschaft in Irland habilitierte. 1914 bis 1917 lehrte er an verschiedenen Universitäten in den USA.  Als Politikberater nahm er an zahlreichen Nachkriegskonferenzen teil, schrieb über Freihandel und wirtschaftlichen Wiederaufbau, kritische Studien über Kolonialismus und die europäische Demokratie, die er nur in Pluralismus und ethnischer Diversität als überlebensfähig betrachtete. Als Rektor der Handelshochschule in Berlin und Leiter des von ihm gegründeten Instituts für Finanzwesen gehörte er schließlich zu den führenden Wirtschaftsfachleuten der Weimarer Republik. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 musste Bonn emigrieren, zuerst nach Salzburg, dann nach London, und schließlich in die USA, wo er seine Autobiographie Wandering Scholar(deutsch: So macht man Geschichte) begann. Nach dem Krieg ließ er sich endgültig in London nieder, wo er 1965 verstarb.
Moritz Julius Bonn hatte die Sommer seiner Kindheit bei den Großeltern in Hohenems verbracht und hielt auch Kontakt zum Triester Zweig der Familie.

Moritz Julius Bonn, So macht man Geschichte, 1953: Erziehung eines Liberalen und Gottesdienste in Hohenems
Moritz Julius Bonn, So macht man Geschichte, 1953: “Felix Austria” und seine Minderheiten
Moritz Julius Bonn, So macht man Geschichte, 1953: Gedächtnis und Heimkehr aus dem Exil?