Europäisches Tagebuch, 17.1.2021: Der Rücktritt der österreichischen Arbeitsministerin Christine Aschbacher erfolgte nach weniger als einer Woche. Anfang Januar flog auf, dass ihre Diplomarbeit an der Fachhochschule Wiener Neustadt 2006 zu einem großen Teil aus Plagiaten bestand – und dort, wo sie etwas selbst geschrieben hatte, nicht selten aus Nonsens. Auch ihre schon mit Ministerinnenwürden 2020 an der Technischen Universität Bratislava im Fach „Maschinenbau“ eingereichte Dissertation „Entwurf eines Führungsstils für Innovative Unternehmen“ enthält, so stellt der „Plagiatsjäger“ Stefan Weber mit der üblichen Software der Uni Wien fest, über 20 % Abgeschriebenes ohne Nachweis. Und jede Menge Realsatire, die sich von selbst ergibt, wenn man englische Zitate vor Jahren mit dem damals noch ziemlich unbeholfenen „Google-Translate“ übersetzt und seitdem nicht korrigiert hat.
Die Universität in Bratislava und ihre Gutachter, die bislang nicht durch Deutschkenntnisse aufgefallen sind, fühlt sich ganz zu Unrecht am Pranger. Schließlich habe man mit der offiziellen Plagiatssoftware der Slowakischen Hochschulen nur 1,15% Plagiate feststellen können. Diese Software kennt kaum deutschsprachige Quellen. So ist denn der Dr. Bratislava mittlerweile ein geflügeltes Wort.
Frau Aschbacher war sich selbstverständlich keines Verschuldens bewusst, beklagte die „Vorverurteilungen“ und erklärte, sie habe nach „bestem Wissen und Gewissen“ gehandelt. Und dann ging es mit dem Rücktritt doch ganz schnell. „Ihre Familie solle nicht leiden…“ und so weiter. Aber es ist wohl wahrscheinlicher, dass Kanzler Kurz sie aus der Schusslinie nehmen musste, bevor noch unangenehmere Fragen gestellt würden. Zum Beispiel wer eigentlich der Arbeitsministerin den Deal mit der slowakischen Fakultät für „Maschinenbau“ vermittelt hat. Und überhaupt: Fragen danach, wie Österreicherinnen und Österreicher aus Politik und Wirtschaft zu ihren akademischen Titeln kommen, und deren Promotoren zu Ehrungen durch Politik und Wirtschaft. Niemand weiß, wer Frau Aschbacher beraten hat.
Vor wenigen Tagen war im ORF die Stimme eines in solchen Kreisen wohlbekannten Experten zu hören: „Univ.-Prof. Dr.h.c. Dr.“ Peter Linnert, der Ende 2015 von ÖVP-Staatssekretär Harald Mahrer (heute Wirtschaftskammerpräsident) das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse verliehen bekam. Und zwar in seiner Eigenschaft als Rektor der „Goethe Universität Bratislava“.
Die von Linnert gegründete Privatuniversität ist längst Geschichte. Schon einen Tag vor der Ordensverleihung in Wien am 16. Dezember 2015 wurde sie – nach langen öffentlichen Diskussionen über eklatante Missstände – wegen erheblicher „Mängel im Studienprogramm“ von der slowakischen Regierung geschlossen.
Harald Mahrer verleiht Peter Linnert das Ehrenkreuz 1. Klasse, Foto: Willibald Haslinger
Aber das tat der erfolgreichen Tätigkeit des nunmehrigen Ehrenkreuzträgers in Wien keinen Abbruch. Linnert leitet bis heute das 2003 gegründete „Studienzentrum Hohe Warte“ in Wien und die damit verbundene „Sales Manager Akademie“. Das Programm besteht aus der Vermittlung von akademischen Graden an derzeit vier osteuropäischen Privatuniversitäten in Bratislava, Warschau und Belgrad, die mit klangvollen Namen um Kundschaft werben und sich mit “Europa” schmücken.
Für 30.000,- € kann man sich aussuchen, ob man an der „Paneuropäischen Universität Bratislava“, oder an der „European University Belgrad“ promovieren will, in „International Management“, „Ökonomie“ oder „Massenmedien“ zum Beispiel.
Die auf diese Weise erkauften Doktorate mögen in der akademischen Welt nicht zählen. Aber in Wirtschaft und Politik sind sie hilfreich. Die geforderten „wissenschaftlichen Leistungen“, wie die Teilnahme an insgesamt zehn Tagen Seminar, Vorträge in „wissenschaftlichen Tagungen“ und Veröffentlichungen (in der hauseigenen „Zeitschrift“), sind im „Studienzentrum“ Hohe Warte selbst – als gesellige Anlässe – zu absolvieren. Und auch die Promotionsfeiern im Wiener Rathaus machen etwas her. Als der deutschen Sprache grundsätzlich mächtige „Zweitgutachter“ fungieren emeritierte Professoren in Österreich, die sich damit, so Linnert, ein Zubrot verdienen.
Belgrads „European University“ befindet sich im Privatbesitz ihres Rektors, Milija Zečević, der (neben zahlreichen käuflichen Ehrentiteln) auch Präsident der „European Academy of Science“ ist, die an der gleichen Adresse residiert wie Linnerts „Studienzentrum“, der Geweygasse 4 im 19. Wiener Gemeindebezirk. Doch für „akademische Feiern“ mit Partnerorganisationen wie der „Albert Schweitzer International University“ aus Genf (und so schönen Themen wie „Global Business and Management in the Function of Peace“) oder die Ernennung neuer Mitglieder trifft man sich lieber im Hotel Imperial.
Das es solch komplizierter Umwege für die Absolventen des Studienzentrums Hohe Warte bedarf, liegt daran, dass es Linnert trotz seiner Bemühungen um die jüngere Generation von Politiker*innen und Unternehmer*innen bislang nicht gelungen ist, seine Einrichtung in eine „Privatuniversität für Wirtschaft und Ethik“ zu verwandeln. Denn dafür braucht es eine formelle Akkreditierung, und die hat ihm die zuständige Kommission in Österreich schon zum fünften Mal verweigert. Zu Linnerts Leidwesen reden da nicht nur Politiker und Unternehmer mit.
So musste auch seine Tochter Julia 2013 ihre „kommunikationswissenschaftliche“ Dissertation an der Paneuropäischen Universität Bratislava einreichen. Zweitgutachter: Peter Linnert. 2018 wurde auch diese „Dissertation“ von VroniPlag Wiki – manuell – untersucht. Und wie sich zeigte, stellt sie alle Rekorde in den Schatten. Der Text enthält genau 18 Sätze, die nicht abgeschrieben wurden. Ein Plagiatswert von mehr als 98%. Auch Linnerts Sohn Michael, mittlerweile im Imperium der verschiedenen „Sales Management Academies“ der Linnerts beschäftigt, kam auf diesem Weg zu seinem Doktortitel – der einem in Bratislava auch dann nicht aberkannt wird, wenn Plagiate nachgewiesen werden.
Linnert ist keineswegs der einzige Anbieter auf dem Markt. Auch Ghostwriter kann man beschäftigen, oder es mit einer windigen Arbeit an einer „ordentlichen“ österreichischen Hochschule versuchen, wie der steirische ÖVP-Landesrat Christian Buchmann, dessen Dissertation in Graz im Jahr 2000 von zwei Parteifreunden positiv begutachtet wurde, trotz 30% Plagiats. Damals gab es freilich noch keine wirksame Software. 2017 musste Buchmann seinen Doktortitel zwar wieder abgeben, aber das schadete seiner politischen Karriere nicht. Derzeit ist er Präsident des österreichischen Bundesrates.
Linnerts „paneuropäisches“ Titel-Geschäft floriert jedenfalls weiter. Und nur selten wird davon einmal öffentlich geredet. 2014 erwarb z.B. der Steyrer ÖVP-Stadtrat Markus Spöck seinen Doktortitel im Fach „Internationales Management“ über die „Hohe Warte“ an der “European University Belgrad“. Und zur gleichen Zeit erwarb auf diesem Weg auch Christa Kranzl ihre Doktorwürde, nachdem sie an der Hohen Warte schon ihren Master in „Executive Sales Management“ erhalten hatte. Die ehemalige niederösterreichische Landesrätin (zuständig u.a. für Bildung) und kurzzeitige SPÖ-Staatssekretärin (für „Innovation“) unter Kanzler Gusenbauer war 2011 aus der SPÖ ausgeschlossen worden, weil sie in ihrem Heimatort mit einer eigenen Liste gegen die SPÖ angetreten war.
Als Unternehmensberaterin (Spezialgebiet „Förderberatung“) war sie nun im Fortbildungswesen für Unternehmer tätig. 2016 lehrte „Dr. Christa Kranzl“ so zum Beispiel „Regierungspolitik und Parlamentarismus“ an der „Middlesex University/KMU Akademie & Management AG“ in Linz, die offenbar noch weitere illustre Gestalten aus der Grauzone von Scharlatanerie und Business beschäftigte. So lehrte dort auch „Dr.“ Hubert Dollack, Drahtzieher eines anderen europäischen und außereuropäischen Netzwerks, das höchst erfolgreich akademische Titel verkauft.
Ab 2011 nannte Dollack sich Präsident der „University of Northwest-Europe“ in einer ehemaligen Abtei im niederländischen Kerkrade, auch wenn diese „Universität“ formell gar nicht anerkannt war. Schließlich trug sie das „Gütesiegel“ des „Universidad Azteca International Network Systems“, wohinter sich das Vertriebssystem mexikanischer Doktortitel verbirgt. Ihren virtuellen Campus betreibt das „Universidad Azteca European Programme“ in Innsbruck, wo es den umtriebigen Titelverkäufern vor zehn Jahren sogar gelang, eine kurzzeitige Kooperation mit der MedUni Innsbruck einzugehen, bevor diese den Braten roch. Der Dekan der Azteken, ein gewisser „Prof. Dr. Dr. Dr.“ Gerhard Berchtold, ehemaliger Klubdirektor der FPÖ im Innsbrucker Landtag und Wirtschaftskammerfunktionär (Entsorgung, Abfallwirtschaft), vertritt auch die „Universidad Central de Nicaragua“.
Hubert Dollack, promoviert an der TU Ostrava, leitete hingegen auch das inzwischen verblichene „Steinbeis Institute of Operations Management“ in Stuttgart, das „IMC Institut für Management & Consulting“ und das „UNIDI Career College“, eine Nebenstelle der nicht vorhandenen „Universität“ in Kerkrade. Auf den Fluren der ehemaligen Abtei residierten 2015 auch eine obskure „Martin Buber Universität“ (die ebenso vergeblich auf ihre Anerkennung wartete) und eine noch obskurere „European New University“, die Außenstelle der „International Teaching University“ in Tiflis, Georgien. Deren Abschlusszeugnisse wiederum werden vor allem von der „European University“ in Belgrad ausgestellt.
Womit sich so manche Kreise schließen. „Konsul Univ.-Prof. Dr. rer. pol. Dr. habil. Dr. h.c. mult.“ Peter Linnert wird sich wohl bald zur Ruhe setzen. Er blickt, mit seinen 84 Jahren, inzwischen auf ein langes erfolgreiches und manchmal auch weniger erfolgreiches Leben zurück.
Promoviert wurde er tatsächlich 1964 an der Universität Hamburg, und begann seine Laufbahn als Assistent am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre. 1969 wechselte er nach Wien an die Wirtschaftsuniversität. Und dann verliert sich seine „akademische“ Biografie eine Weile im Ungefähren. Erst in den 1990er Jahren klärt sich das Bild wieder und bald sieht man Linnert erneut an der Wirtschaftsuni in Wien, nun als frischgebackenen Ehrendoktor der Universität Vilnius, und als Verantwortlichen für das Seminar Service Management, ein Fortbildungsangebot für Führungskräfte – mit dem er sich 1996 selbständig macht. Die „Sales Manager Akademie“ ist geboren. Und ein teurer, aber bequemer Zugang zum Diplom des „Master of Business Administration“, geliefert von der Universität von Staffordshire in England, das Ganze für 20.440,- €.
Auch als Autor von Büchern für Management und Business zeichnet Linnert regelmäßig mit seinem Namen. Schon 1971 veröffentlichte er seinen „Clausewitz für Manager. Strategie und Taktik der Unternehmensführung“. Es folgten ein Dutzend weiterer Titel, darunter „Alles Event? Erfolg durch Erlebnis-Marketing“, „Größere Markterfolge durch Total Quality Management“ oder „Die Finanzierung der Unternehmungen des Vortrags- und Aufführungswesens“. Sein neuestes Buch, gerade 2019 erschienen, wird auf der Website seines Studienzentrums „besonders empfohlen“: Es heißt kurz und bündig „Wirtschaftskriminalität“.
Warum Linnerts Lebenslauf zwanzig so wenig dokumentierte Jahre enthält, erschließt sich aus einem Bericht der Wochenzeitschrift Der Spiegel aus dem Jahre 1976: „Papiere von St. Pauli“. Damals war das vorerst letzte von Linnerts windigen Geschäften geplatzt, als die Deutsche Bank recht schlampig gefälschte Aktien im Wert von angeblich 2 Millionen DM in Linnerts Depot in Frankfurt fand. Er hatte versucht, die gefälschten Aktien in seinem Depot zu beleihen, um mit diesem Geld sein Firmenimperium zu retten, das vor allem aus Luftnummern bestand. Seine „Vereinigte Zünder- und Kabelwerke AG“ produzierte längst nichts mehr, sondern beschäftigte sich mit Vermögenstransaktionen. In Guatemala plante er den Kauf eines größeren Waldgebietes zur Einrichtung einer „Freihandelszone“. Von der Errichtung eines Marmorwerkes war die Rede und einer Reederei zwecks Transports des Marmors nach Japan. Sein „Marketing Institut Peter Linnert und Co“ knüpfte Netzwerke und vertrieb einen „praxisnahen, aktuellen Beratungsbrief“. Mit seinem Kompagnon Ekkehard Zahn (der auch 50 Jahre später noch an Linnerts „Sales Management Akademien“ beteiligt sein sollte) veranstaltete er exklusive Seminare für Führungskräfte oder solche, die es werden wollten. Doch dann kaufte er auch noch Deutschlands zweitgrößtes Möbelversandhaus, die Steinheimer Möbel-Becker GmbH, die im Mai 1976 Konkurs anmelden musste. Auf der Suche nach Kapital ließ Linnert seine windigen Zünder- und Kabelwerke neue Aktien auflegen, die schon bald nicht mehr das Papier wert waren, auf dem sie gedruckt wurden. Als auch noch die gefälschten Aktien im Frankfurter Depot aufflogen, wurde Linnert in seiner Hamburger Villa an der Elbchaussee 359 verhaftet.
Er hätte die Aktien in Hamburg-St. Pauli gekauft, beteuerte er. Doch da glaubte man ihm in Deutschland jedenfalls wirklich nichts mehr. In der Szene hatte Peter Linnert damals längst seinen Spitznamen erhalten: Dr. Hokuspokus. Das trifft es noch besser als Dr. Bratislava.
https://plagiatsgutachten.com/blog/warum-erhaelt-ein-promotionsberater-das-oesterreichische-ehrenkreuz-fuer-wissenschaft-und-kunst-i-klasse/
https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41119562.html
https://causaschavan.wordpress.com/2016/03/11/huetchenspiele-teil-2-allgemeines-guatemala/
https://causaschavan.wordpress.com/2016/04/04/huetchenspiele-teil-3-sturm-und-drang-in-bratislava/